Steve Hackett - Darktown

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Eric
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Steve Hackett - Darktown

Beitrag von Eric »

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DARKTOWN

In den 90ern schien die Dunkelheit eine große Faszination auf Steve Hackett ausgeübt zu haben. Jedenfalls hat er seine beiden Studio-"Rock"-Alben in diesem Jahrzehnt, Guitar Noir und Darktown recht düster betitelt.

Während der erste Titel Guitar Noir den besonderen Gitarrenstil von Steve Hackett kennzeichnen soll (angeblich handelt es sich um eine Wortschöpfung seiner mittlerweile von ihm getrennt lebenden Frau Kim Poor), zielt der Name Darktown direkt auf die eher düsterne Grundstimmung des Albums.

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Schon das Artwork lässt den Betrachter einen Schauder über den Rücken laufen. Anstatt der sonst so farbenfrohen Gemälde von Kim Poor gibt es diesmal nur triste Schwarzweiß Fotos - und zwar von verwahrlosten Gräbern auf Friedhöfen.

Was für Erwartungen stellt man an so ein Album? Präsentiert uns Hackett auf einmal Gothic Rock? Oder gar Death Metal?

Nein, glücklicherweise nicht. Man kann den guten alten Steve durchaus wiedererkennen. Aber wie schon so oft, hat er seinem Stil mal wieder ein paar neue Elemente hinzugefügt und wandelt auf neuen Wegen.

Gleich beim Opener Omega Metallicus geht es richtig zur Sache, als einem ein krachender (elektronischer) Drumbeat und ein aggressiver Slap Bass um die Ohren fliegen. Alles andere, was eben nicht Bass oder Schlagzeug ist, kommt letztlich aus einer Gitarre. Was genau Steve seiner armen Fernandez alles angetan hat, um ihr diese Töne zu entlocken, mag man sich gar nicht vorstellen - womöglich gibt es Gesetze dagegen. SO etwas hat man von Hackett bisher noch nie gehört. Das hat nichts mehr mit dem Schönklang von Spectral Mornings zu tun. Der Sound ist agressiv, metallisch und erinnert - wie vieles auf dem Album - entfernt an King Crimson. Bei weitem nicht alles in diesem Instrumental wurde in Echtzeit eingespielt. Hier wurde viel mit Samples und Verfremdungen gearbeitet. Schade nur, dass sich dieses Stück daher nicht für eine Liveaufführung eignet.

Der Titeltrack Darktown hingegen zählt mittlerweile fest zu Steves Live Repertoire. Ein Song über das britische Schulsystem - vorgetragen mit Steves tiefer gepitchter "Monsterstimme". Hermann Hesses "Unterm Rad" lässt grüßen. Neben Steves Gitarre ist als Leadinstrument zusätzlich noch das Saxophon zu hören. Seit Darktown zählt dieses Instrument fest zu Hacketts Klangspektrum. Saxophonist ist hier King Crimsons Gründungsmitglied Ian McDonald.

Wer nach Hören dieser beiden sehr düsteren Nummern die Selbstmordgedanken noch erfolgreich im Zaum halten konnte, der kann bei der nächsten Nummer Man Overboard hören, wie auf einmal die Sonne aufgeht. Ein Song zum Träumen, der auf akustischem Gitarrengezupfe basiert und dazu einlädt, sich in der Sommersomme mit einem kleinen Boott auf einem See treiben zu lassen.

The Golden Age Of Steam ist womöglich die einzige Hackett Nummer, die gänzlich ohne Gitarre auskommt. Stattdessen werden opulentes Orchester Arrangement und Chöre geboten, die eine ausdrucksstarke Klangkulisse für Steves Gesang bilden. Insgesamt klingt Steves Gesang auf diesem Album so gut wie nie zuvor und besonders bei diesem Song kommt er ziemlich gut zur Geltung. Der Song handelt von einem jüdischen Jungen in Hitlerdeutschland während des zweiten Weltkrieges, der sich als Arier ausgibt und andere Juden denunziert.

Danach erklingt mit Days Of Long Ago eine sehr schöne Ballade. Neben Steves Gitarren sind auch Violinen und Cello zu hören - und der Gesang von Jim Diamond. Der Refrain ist sehr hübsch und Diamonds Stimme passt ausgezeichnet zu diesem Song.

Mit Dreaming With Open Eyes folgt nun die vermutlich interessanteste Nummer des gesamten Albums, auch wenn der Song im Vergleich zu vielen anderen Stücken des Albums doch eher unscheinbar daherkommt. Ein Song übers Autofahren - wie gemacht für lange Autofahrten. Für den Rhythmus hat man Samples von Steves Nylongitarre verwendet - und dazu noch Samples von Scheibenwischern in Aktion. Über diesem Rhyrhmusgerüst erklingt virtuos Steves akustisches Gitarrenspiel, dazu noch Flöten von Brother John.

An Twice Around The Sun werden besonders Fans der alten Genesis Ära Freude haben. Endlich kommt sie, die elegische E-Gitarrennummer im Stil von Spectral Mornings und ganz besonders Sierra Quemada. Bei der ersten Runde um die Sonne klingt die Gitarre noch recht bluesig. Sehr schön, aber von dem Intro hatte man sich eigentlich mehr erhofft. DOch es geht ja noch ein zweites Mal um den großen Feuerball. Und jetzt erklingt sie, Steves Gitarre mit einem Sound, wie man ihn eben nur von Hackett kennt und weswegen seine Fans ihn so lieben. "His favorite 'Golden' tune" (wie Steve diesen Sound selbst nennt) erstrahlt wie eine aufgehende Sonne über dem Klangteppich aus Mellotronsounds und einem getragenen Beat. Das Instrumental endet mit dem vermutlich längsten Sustain-Gitarrenton der Musikgeschichte.

Rise Again ist wieder etwas für den alten Genesis Fan. Ein rockiger Progsong mit sehr schönen akustischen und elektrischen Gitarren. Wer die Genesis Revisited kennt, der wird das Hauptthema wiedererkennen, das Steve bereits in seine Version von Los Endos eingebaut hatte.

Jane Austen's Door ist vermutlich der kommerziellste Song des Albums. Eine hübsche, von Steve anständig intonierte Ballade. Der Song wird die meiste Zeit nur vom Bass und Keyboardpads getragen. Lediglich am Anfang und am Ende erklingt eine ansprechende Gitarrenmelodie, die den Song geschmackvoll abrundet.

Darktown Riot ist ein Reprise der ersten beiden Tracks Omega Metallicus und Darktown. Das Thema von Darktown wird aufgegriffen im Soundgewand des Openers.

Bei In Memoriam kehrt nun endgültig die Friedhofsstimmung ein. Das Artwork zum Album ist eine perfekte Illustration dieses Songs. Mit dunklem SPrechgesang (kein RAP!) sendet Hackett sein Farewell an die Welt, eine Trauerrede auf längst begrabene Hoffnungen und Träume. Ich bekomme jedesmal Gänsehaut, wenn ich diesen sehr getragenen Song höre. Die Chöre und Mello-Teppiche erinnern stark an The Court Of The Crimson King. Ein großartiger Abschluss eines großartigen Albums. Besser hätte Darktown nicht enden können.


Für viele Fans ist Darktown das beste Hackett Album überhaupt. Einige sehen darin auch das beste Genesis Soloalbum der 90er überhaupt, noch vor Gabriels "US" (als wenn es noch irgendwelche andere ernstzunehmende Konkurrenz geben würde ). Ich selbst tu mich immer sehr schwer damit, Alben zu benoten, zu bepunkten oder in Ranglisten unterzubringen. Aber ich muss schon zustimmen, dass dieses Album aus Hacketts Schaffen heraussticht und Darktown vermutlich Steves ungewöhnlichstes "Rockalbum" ist.

Eine richtige Band hat Steve für die Aufnahmen nicht gehabt, ein Großteil der Drums und Sounds ist Sequenzern und Drumcomputern entsprungen. Darktown ist also eher das Album von Produzenten und Soundtüftlern, als das einer Band. Deswegen ist ein guter Anteil der Songs live auch gar nicht wirklich reproduzierbar und lediglich der Titeltrack und In Memoriam haben den Sprung in Steves Live Repertoire geschafft.

Erstmals seit Spectral Mornings hat sich Steve Hackett mit Jim Diamond bei Days Of Long Ago wieder eines Gastsängers bedient. Ein Schritt, den man sich bei Hacketts doch eher bescheidenem Gesangstalent viel öfter gewünscht hätte. Allerdings klingt Steves Stimme gerade bei diesem Album so gut wie nie.

Das Album hat sehr viel Kraft und viele wirklich starke Nummern. Da ist kein Ausfall oder Lückenfüller dabei. Hier reiht sich wirklich Highlight an Highlight.

Hier ein Interview mit Hackett zu Darktown: http://www.stevehackett.com/reviews/midnight.html

Und hier ein paar Hörbeispiele:
Darktown (live at Guitar Wars)
http://de.youtube.com/watch?v=Qr59QKx80X8

In Memoriam (live in Buenos Aires)
http://de.youtube.com/watch?v=hAtU1cn5nKY
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Aprilfrost
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Re: Steve Hackett - Darktown

Beitrag von Aprilfrost »

Eric, Du hast das Album wunderbar beschrieben. Für mich war es (zeitlich) nach Spectral Mornings das Album, dem ich wieder die Bestnote verpassen konnte. An den zwischenzeitlich erschienenen Alben hatte ich nur eingeschränktes Interesse gezeigt. Mit Darktown hatte mich Steve Hackett wieder eingefangen. Auch To Watch The Storms, mehr noch Wild Orchids und erst recht Out Of The Tunnel's Mouth konnten mich begeistern. Seitdem höre ich auch wieder die anderen Platten. Auf Darktown ist es Hackett gelungen, eine düstere Atmosphäre auf erträgliche Weise rüber zu bringen. Mit In Memoriam klingt das Album melancholisch, aber irgendwie auch versöhnlich wieder aus.
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Eric
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Re: Steve Hackett - Darktown

Beitrag von Eric »

Ich bin der Meinung, dass Hackett bereits wieder mit Guitar Noir ein großartiges Album abgeliefert hatte. Davor (Cured, Highly Strung und Till We Have Faces) gab es ja wirklich eine "Durststrecke". Darktown ist insgesamt noch etwas aufwändiger produziert als Guitar Noir und kann vielleicht deshalb noch stärker überzeugen.
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SOON
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Re: Steve Hackett - Darktown

Beitrag von SOON »

Darktown und Guitar Noir finde ich gleich gut wenn auch ziemlich unterschiedlich.
Ganz gerne mag ich auch Highly Strung, da hätte Steve ja fast auch mal die Charts geknackt aber die Plattenfirma machte keine Werbung dafür.
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Eric
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Re: Steve Hackett - Darktown

Beitrag von Eric »

SOON hat geschrieben:Darktown und Guitar Noir finde ich gleich gut wenn auch ziemlich unterschiedlich.
Ganz gerne mag ich auch Highly Strung, da hätte Steve ja fast auch mal die Charts geknackt aber die Plattenfirma machte keine Werbung dafür.
Highly Strung war überhaupt das erste Hackett-Album, das nicht in die Charts eingestiegen ist. Am Erfolgreichsten war Defector, das es bis auf #9 der britischen Charts geschafft hat.
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SOON
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Re: Steve Hackett - Darktown

Beitrag von SOON »

Eric hat geschrieben:
SOON hat geschrieben:Darktown und Guitar Noir finde ich gleich gut wenn auch ziemlich unterschiedlich.
Ganz gerne mag ich auch Highly Strung, da hätte Steve ja fast auch mal die Charts geknackt aber die Plattenfirma machte keine Werbung dafür.
Highly Strung war überhaupt das erste Hackett-Album, das nicht in die Charts eingestiegen ist. Am Erfolgreichsten war Defector, das es bis auf #9 der britischen Charts geschafft hat.
Ich meine auch Singles-mässig.
Cell 151 hätte durchaus Hitpotential gehab, zumindest in den frühen 80ern.
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