The Healing Road - Timanfaya

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JJG
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The Healing Road - Timanfaya

Beitrag von JJG »

The Healing Road – Timanfaya

Es gibt Instrumentalalben, die nach folgendem Schema aufgenommen werden. Ehemann stört in der Wohnung, weil Frau neu dekorieren möchte. Also wird der Göttergatte für Aufnahmen in den Keller geschickt. Zum Mittagessen sind die ersten zwei Stücke entstanden und nach einer Woche ist die Scheibe im Kasten und brav abgearbeitet. Da kein Thema für die Werke gefunden wurde, schafft man einfach ein Pseudokonzept …

Aber es gibt auch Werke, bei denen man spürt, dass sie erst im Geist einer Musikerseele entspringen. Genau das ist bei dem mir vorliegendem Album der Fall. Konzepte schmeicheln mir immer, wenn ein stimmiges Gesamtbild entsteht.
The Healing Road nimmt den Zuhörer an die Hand und führt ihn wie einen Pilger an das Ende des Okzidents . Jene seltenen Orte an denen die vier Elemente dieser Welt direkt aufeinandertreffen. Wer jetzt eine einstündige Frickelorgie, New-Age-Schmalz oder nette Liedchen im Vierteltakt erwartet, der wird enttäuscht und sollte die Finger von dem Album lassen.
Wer aber ein Kleinod entdecken möchte, naturverbunden ist und dieses auch musikalisch umgesetzt hören will, der findet sich selbst und faszinierende Landschaften vor seinem inneren Auge.

Die Insel um die es bei diesem Konzeptalbum geht, ist Lanzarote. Eine der kanarischen Inseln, die wohl der Anfang und auch das Ende der „Alten Welt“ verkörpert.

Mit den vier Elementen wird man beim Anflug in den „Devil’s Garden“ konfrontiert. Zugleich wird in dem Song auch klar, dass man hier kein breit gefächertes Instrumentarium vorfinden wird. Die musikalische Seite der Scheibe lebt im Wesentlichen von den Keyboardsounds und den elektrischen Gitarrenklängen.

Nach der Landung wird man über die „The Green Caves“ bis zu den „Crashing Waves“ entführt. In beiden Songs dominieren die Keyboards, die wie die Elemente gegeneinander pulsieren oder miteinander harmonieren. Der moderne Sound wird durch Retroelementen der Siebziger verfeinert.

Auf den „Crater Camels“ erreicht man ein Ziel der Pilgerreise, den Timanfaya National Park. Bei diesem Song spielen sich Gitarren und Keyboards gegenseitig Melodien zu.

Orgelklänge sind Bestandteil der Songs „Absynthe“ und „Fire Mountains“. Letzterer Song ist mit seinen fast 10 Minuten auch ein Highlight des Albums. Im Mittelteil gibt es Fendersounds im Stile eines Mark Knopfler oder Andy Latimer um sich zum schlussendlich in treibende Tastenläufe zu wandeln. Majestätische Klänge widerspiegeln die Wandlungsfähigkeit dieser bizarren Landschaft.

In den nächsten zwei Songs kann man sich von der Überquerung der Feuerberge erholen. Auf „Mirador“ treffen die Elemente wiederum aufeinander. 500 Meter über dem Meer ist man dem Himmel ein Stück näher und kann die Wellen auf das nackte Riff aufprallen hören.

Am „Blackbeach“ nimmt man seine Liebste an die Hand und wandert durch den schwarzen Vulkansand direkt am Meer. Die Hooklines dieses Songs habe ich mir gleich mehrmals hintereinander angehört.

Die harmonischen Melodien werden im Laufe des Songs fein variiert. Das erinnert an die Fußspuren, die man hinterlässt und vom Meer verwaschen und letztendlich verschluckt werden.

Der Song „Observe And Learn“ stellt ein würdiges Finale der Platte dar. Dieser Song strotzt gerade vor Optimismus und Schönheit. Man überfliegt noch einmal all jene wundervollen Orte und verspricht eine Wiederkehr.
Das musikalische Gesamtkunstwerk wird durch eine vorzügliche Covergestaltung abgerundet. Zu jedem Song gibt es eine kurze Beschreibung sowie Zitate und Kunstwerke in Aquarelltechnik. Den Künstlern (Musiker, Maler und Designer) muss man seinen Respekt zollen.

Kleine Abstriche gibt es für mich nur für das abrupte Ende von zwei Songs und den Drumsound, der manchmal etwas blechern wirkt. Letzteres ist meiner persönlichen Abneigung gegen programmierte Sounds geschuldet. Man möge es mir nachsehen.

Da den Künstlern wohl kein fünfstelliges Aufnahmebudget zur Verfügung stand, kann man nur staunen. Deshalb möchte ich 8,5 von 10 Punkten für „Nicht-Yes-Platten“ vergeben. Ich traue den Musikern um H-P. Hess aber noch mehr zu. Eine Steigerung erwarte ich dann beim nächsten Album.

Einen meiner Vorsätze für den Urlaub (auf der Nachbarinsel Fuerteventura) werde ich wohl über den Haufen werfen müssen. Ich werde meinen Sohn doch bitten ein Album für mich auf seinen MP3-Player zu speichern …
"We are truth made in heaven, we are glorious" (Anderson/Stolt 2016)

Saaldorf
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