BARCLAY JAMES HARVEST - 3 Live-Alben von 1974, 78 und 82
Nach der Neuentdeckung alter Helden liegt es mir natürlich am Herzen, auch mal was darüber zu posten oder rezensieren. Allerdings sind die BJH-Studioalben anno 2009 in der Tat reichlich angestaubt und produktionstechnisch meistens etwas zu weichgespült. Die Live-Platten zwischen 1974 und 1982 kann man sich aber auch heute noch anhören. Da ich mich nicht entscheiden konnte, zu welchem Album ich am liebsten was schreibe, habe ich mich für eine Dreier-Rezension entschieden. Gemein haben alle drei Alben aber eines: ihre Entstehung ist jeweils eine verworrene Geschichte aus technischen Pannen, Plattenfirmen-Problemen und Management-Turbulenzen.
BJH LIVE (1974)
Dieses Album ist vor allem aus der Not geboren. Nach ruinösen Orchesterexperimenten und lauen Plattenverkäufen war die Band 1973 schlicht pleite. Über Beziehungen kam die Band an einen Vertrag mit Polydor, das auch die Schulden der Band bei EMI übernahm. Um diese Schulden schnell zu tilgen, beschloss man, ein Live-Album aufzunehmen. Zwei Konzerte in London und Liverpool sollten aufgezeichnet werden. Das erste Liverpooler Konzert fiel erstmal wegen elektrischen Problemen aus. Das Konzert in London gelang musikalisch hervorragend, aber Wooly Wolstenholmes Mellotron machte erhebliche Probleme. Die Bänder liefen zu schnell oder zu langsam und heraus kamen kakophonische Zwischentöne. Das nachgeholte Liverpool-Konzert war technisch sauber, aber lange nicht so gelungen wie das in London. Man beschloss, so viele Songs wie möglich aus London zu verwenden und das Mellotron soweit wie möglich runterzumischen. Die Songs, die nicht zu retten waren, wurden durch Aufnahmen aus Liverpool ersetzt. Kann unter diesen Bedingungen ein gutes Live-Album entstehen? Ja. Die Band war extrem gut drauf und durch das Zurücknehmen der Keyboards entstand ein roher, ungeschliffener Sound, den BJH so nie wieder hatten. Ausgedehnte Instrumental-Passagen, erdige Bass- und Gitarrensoli, die aber nicht an frickeligen Progressive Rock, sondern eher an Krautrock-Bands auf Marihuana erinnern und nicht zuletzt ein gutgelauntes Publikum sorgen für großen nostalgischen Hörspaß. Das ist Live-Musik Anfang der 70er Jahre. Lange Haare, klobige Instrumente, ausufernde Songs. Die erste der vier LP-Seiten mit Summer Soldier und Medicine Man ist ein gutes Beispiel hierfür. For No One und Mockingbird sind weitere Höhepunkte. Es zahlte sich aus: das Album kam in England knapp unter die Top 40 und konsolidierte die finanzielle Lage der Band. Das mittlerweile offensichtlich wieder in der Versenkung verschwundene Eclectic-Label brachte das Album 2005 in einer noblen Remaster-Version mit viel zusätzlicher Information und historischen Bildern raus. Da hat man sich viel Mühe gegeben, was das Blättern und Schmökern im Booklet zum Genuss macht.
LIVE TAPES (1978)
Auch das IMHO beste Livealbum der Band war ein elendes Gezerre, was die Details und den Zeitpunkt der Veröffentlichung angeht. Zunächst träumten die Manager 1976 vom oft beschworenen "Durchbruch in den USA" und wollten dort ein Live-Album veröffentlichen. Der Deal platzte. Die Konzerte waren aber schon aufgezeichnet und das Material war gut. Eine EP mit ein paar Songs daraus kam beim Publikum gut an. Also plante man nun eine Veröffentlichung in Europa. Inzwischen war mit "Gone to Earth" ein sehr erfolgreiches Studio-Album erschienen und die Band hatte mit "Hymn" sogar einen Hit. Also wurden noch ein paar Songs von "Gone to Earth" auf diversen Konzerten 1977 mitgeschnitten und in die Playlist der 1976er-Aufnahmen integriert, dafür flogen ursprünglich vorgesehene Tracks raus. Was dann 1978 erschien, waren also Aufnahmen aus England aus dem Jahr 1976 und vier 1977 u.a. in Hamburg aufgenommene Songs. In England floppte das Album, in Deutschland kam es unter die Top 20. Musikalisch ist es eine starke Vorstellung. Dynamisch dargebotenes Material einer motivierten Band, sauber aufgenommen und gemischt, alles in allem das letzte Live-Dokument der Ur-Band. Nach einem weiteren Album (XII) stieg Wooly Wolstenholme aus und die Pop-Phase der Band begann. Auch dieses Doppelalbum veröffentlichte Eclectic 2006 in einer sehr schönen Fassung. Neu gemastered, inklusive der Songs, die für die Ur-Version vorgesehen waren und aus Platzgründen gestrichen wurden und selbstredend sorgfältig verpackt mit vielen Zusatz-Infos und Bildern. Vielleicht das BJH-Album, das man am ehesten braucht.
BERLIN - A Concert for the People (1982)
Eine turbulente Geschichte steckt hinter dem erfolgreichsten Live-Album der Band, das 1982 in Deutschland von Null auf 1 in die Alben-Charts einstieg und am Tag der Veröffentlichung mit Gold, später mit Platin ausgezeichnet wurde. Der Berliner Senat plante im Sommer 1980 ein Konzert-Event vor dem alten Reichstag. BJH war damals in Deutschland angesagt (ihr aktuelles Studio-Album hatte eben Platinstatus erreicht) und waren sowieso auf Deutschland-Tour, also konnte man sie als Headliner gewinnen. Die Veranstaltung sollte für die Zuschauer umsonst sein. Die Kosten von 160.000 brit. Pfund teilten sich der Senat, MAMA Concerts, die Springergruppe und weitere Sponsoren. Die Band selbst steuerte 50.000 Pfund bei. Man hoffte, das Geld durch den Medien-Hype später über Konzerte und natürlich ein Live-Album wieder reinzuholen. Das Konzert wurde ein Riesenevent. Die untere Grenze der geschätzten Zuschauermenge liegt bei 175.000, manche sprechen sogar von insgesamt über 250.000 Zuschauern, denn auch jenseits der Mauer waren die Leute zusammengekommen, um zuzuhören. Beim Aufbau wurde John Lees' Gitarre beschädigt, es gab weitere technische Probleme, aber am Abend war alles (scheinbar) wieder ok und die Show lief prächtig. Man packte alte Klassiker wieder ins Repertoire und spielte zwei komplett neue Songs. Das Publikum reagierte euphorisch, alles schien geklappt zu haben. Böses Erwachen dann beim Anhören der mitgeschnittenen Bänder: es gab offensichtlich Probleme bei der Aufnahme, alles war durch Brummen überlagert und auch Lees' beschädigte Gitarre klang stellenweise schlecht. Da man aber das Live-Album brauchte, um zumindest die Kosten zu decken, entschloss sich die Band, zu retten, was zu retten war. Man kam nicht umhin, einige Parts, vor allem Gitarrenspuren, im Studio nochmals einzuspielen. Trotzdem konnte man nur so viel Material retten, dass es für eine einzelne LP und nicht für ein Doppelalbum reichte. Auf dem Cover steht ehrlicherweise, dass das Album vor Ort in Berlin und im Studio in England aufgenommen sei. Die erste Pressung enthielt 11 Songs, danach gab es BERLIN nur mit 9 Songs als "Soundtrackalbum" des Konzertvideos, das 1983 erschien. Eclectic veröffentlichte 2006 die 11-Song-Version remastered und nobel verpackt auf CD. Die Bänder wurden nochmals gesichtet, waren aber definitiv nicht zu reparieren und von weiteren Studio-Additionen sah man ab, vor allem, weil Schlagzeuger Mel Pritchard 2004 überraschend verstorben war. Musikalisch klingt das Ganze folgerichtig etwas zu perfekt und man weiß nicht genau, wo überall nun Studio-Ergänzungen zu hören sind. Prinzipiell ist das LIVE TAPES - Album vorzuziehen. BERLIN ist eher als Dokumentation des größten Konzertes der Bandgeschichte zu sehen. Es klingt natürlich gut und fängt durchaus einiges von der Atmosphäre ein. Gelungene Versionen von Mockingbird, Child of the Universe, Nova Lepidoptera und Hymn sind hörenswert, "Berlin" wird natürlich emotional aufgenommen.
FAZIT: BJH live ist hörenswert, wenn man auf etwas verkiffte 70er-Mucke steht, Live Tapes zeigt die Band auf dem künstlerischen Höhepunkt und Berlin dokumentiert ihr wichtigstes Konzert auf ihrer wahrscheinlich deutlich erfolgreichsten Platte. Ich kann nur hoffen, dass die Premaster-CDs und das Artwork der Eclectic-Editionen nicht verloren gehen und irgendwann von einem anderen Label, evtl. Polydor selbst, neu veröffentlicht werden.
hans
Barclay James Harvest - 3 Live-Alben
-LIVE- -Live Tapes- - Berlin_Concert for the People-
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