Barock Project - "SKYLINE" (2015)

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JJG
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Barock Project - "SKYLINE" (2015)

Beitrag von JJG »

Barock Project – „Skyline“ (2015)

Da war die Band wohl selbst überrascht und muss nun „ausverkauft“ auf der Homepage verkünden. Auch bei Amazon oder Empire Music kann man die Scheibe nur vorbestellen.
Dafür kann man den Download noch erwerben und inzwischen dürfte der Nachdruck zumindest im Bandeigenen Onlineshop erhältlich sein. Soweit dazu.
Es bleibt also Zeit sich intensiver mit dem Album und der Band zu beschäftigen. Für mich gehört diese Junge Band zur 5. Dekade des Artrocks.
Warum? – Die Bands, die die 70er geprägt und den sogenannten Progressive Rock erfunden haben brauche ich hier wohl nicht aufzählen, eine Dekade
später waren Bands wie Marillion erfolgreich, in den Neunzigern hielten z.B. Spock’s Beard und The Flower Kings das Banner hoch und im neuen
Jahrtausend waren Porcupine Tree in aller Munde. Was gibt’s im 2. Jahrzehnt dieses Jahrtausends? Erfreulicherweise sind aus all diesen Dekaden noch
vorgenannte und viele andere Bands aktiv und unterwegs. Ist der Artrock nun in den Jahren zu einer Musikrichtung verkümmert in der leider nicht nur
die Künstler und Fans sterben, sondern auch nichts mehr nachkommt?
Mit Freude nehme ich zur Kenntnis, das in letzter Zeit eine ganze Reihe von Bands „nachgewachsen“ ist und diese spielen nicht einfach nur nach,
sondern treten frisch und munter auf und stellen ihre Werke stolz vor. Das sind keine Kopien der Großwerke aus den letzten Jahrzenten, sondern
vielmehr anspruchsvolle Eigenkreationen, mit handwerklichen und künstlerischen Fähigkeiten die an die Aufbruchszeit erinnert, als sich einige
Rock-Bands aus den Fesseln der Drei- und Viervierteltaktstrukturen lösten, die einfachen dreiminütigen Liedstrukturen überwanden und der
manchmal belächelte Beatmusik ein klassisches Gewand schneiderten.
Diese jungen Musiker verteilen sich über den ganzen Kontinent. In Schweden hätten wir zum Beispiel Moon Safari, die mit herausragenden Gesangsleistungen
und wundervollen Melodien glänzen, in England haben wir u.a. Haken, die gleich mehrere Dekaden des Progs aufgesaugt haben und sich an vertrackte Strukturen ala
Gentle Giant wagen, in Deutschland gibt’s die bekannten Bands, die um Martin Schnella und Marek Arnold entstanden (Flaming Row, Seven Steps to the green Door …)
und aus dem Mutterland der emotionalen Opern eben Barock Project. Wenn man den Bandnamen liest, stellt man sich Künstler vor, die sich in komischen Gewändern
am Hofe des Sonnenkönigs tummeln.
Dabei sind die vier Jungs natürlich auch Bestandteil der Facebook- und Whatsapp-Generation. Und alle Klischees in denen wir betagten Fans zuweilen stecken,
werden ad absurdum geführt. Das ist gut so.

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Luca Pancaldi, Luca Zabbini, Eric Ombelli und Marco Mazzuoccolo v. l. n. r. Foto Quelle Homepage Barock Project

Kopf der Band ist Luca Zabbini, der sich für die Kompositionen verantwortlich zeichnet. Luca konnte ich bereits live kennenlernen, als er mit dem ELP-Tribute Project im
Bergkeller Reichenbach auftrat. Mit Vergleichen soll man eigentlich sparsam umgehen. Wenn es aber einen jungen Musiker gibt, der an die handwerklichen und
kompositorischen Fähigkeiten eines Keith Emerson heranreicht, dann trifft das am ehesten auf Mr. Zabbini zu.

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Luca Zabbini 2011 - Konzert mit ELP-Tribute Project - Foto Jan Geisler (JJG)


Am Mikrophon der Band steht Luca Pancaldi, beide Lucas sind also auf allen vier Scheiben der Band beteiligt. Seit 2012 wird die vom Trio zum Quartett
mutierte Band mit Eric Ombelli (Schlagzeug) und Marco Mazzuoccolo (Gitarre) vervollständigt.
Bisher erschienen:

2007 – Misteriose voci
2009 – Rebus
2012 - Coffee in Neukölln


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Nun stellt sich die Band mit ihrem neuen Album vor. Für die Optik konnte man Paul Whitehead gewinnen, der das Cover für „Skyline“ gestaltet hat.

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10 Anspruchsvolle Stücke sind auf der CD zu finden. Die Texte stammen allesamt nicht aus der Feder der Band,
sondern von Antonio De Sarno.
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GOLD“ ist der Opener, der recht untypisch für Band mit a capella beginnt, die alle samt Luca Pancaldis Stimme entspringen. Das ist auch eine
der Stärken dieser neuen Bands. Es wird wieder verstärkt auf ansprechende Gesangslinien geachtet. Das Stück wandelt sich jedoch zu einem typischen
Barock-Project-Song, nicht überladen, mit schönen Wandlungen, der Song kann sich so entfalten. Melodische Linien wechseln sich mit rockigen Passagen ab.
Luca Zabbini spielt auf dem Album auch komplett Bass und lässt die Keyboards auch mal zur Big Band mutieren. Aufgelöst wird das Ganze dann in eine
Piano-Ballade und als Outro wird's dann wieder a capella. Ein vertracktes Stück, das sich erst richtig beim mehrmaligen Hören einbrennt.
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Es folgt „OVERTURE“, ein Instrumental ganz im Stile von ELP. Orgel und Fanfaren jubilieren und das Schlagzeug treibt die Tastenpassagen im kürzesten
Stück des Albums und die Hörer vor sich her. Einfach Spielfreude pur, Mr. Zabbini tobt sich aus.
Dann der Titelsong „SKYLINE“, er beginnt ebenfalls in ELP-Manier, diesmal aber im Singer-Songwriter Format, wird letztendlich zum Rocker mit Gitarrenriffs und
Stimmen, wie man sie von Focus, Deep Purple oder auch Jethro Tull kennt. Als Gastkünstler wirkt hier Vittorio De Scalzi, der die Band dann mit Flöte an
den ganz großen Sänger und Chef einer bekannten Band erinnern lässt, der auf einem Bein tänzelnd agiert. Ein toller Prog-Song mit Barock Feeling.
Ein melodischer Rocker „ROADKILL“ folgt. Diesmal verstärkt durch die Flötenkünste von Onelio Zabbini im zweiten Teil des Songs, man kann auch mal
headbangen. Dabei gewinnt hier nicht die Monotonie des AOR Oberhand, sondern wird geschickt durch kleine Einlagen formvollendet.
THE SILENCE OF OUR WAKE“ beginnt wieder mit sparsamer Instrumentierung, nur Gitarre und Gesang, die dann aufsteigenden Keyboards untermalen das Ganze
in Facetten, die selten orientalisch dann wieder klassisch Mitteleuropäisch präsentiert werden. In der Mitte des zehnminütigen Songs wird’s dann richtig symphonisch, aber
nie schwülstig. Dann sogar jazzig mit federndem Bass und Akustik-Piano um das ganze wieder in die schöne Melodie zu führen. So wird dieser Longtrack kurzweilig.
Immer wieder hat man, auch in den anderen Songs, das Feeling das an melancholische Opernarien erinnert. Dieser Gesang wird nur in ganz andere Strukturen eingebunden,
was diese Band wirklich interessant macht.
Eine wunderschönes „Wiegenlied“ folgt nun. Mich erinnert das an meine Zeit als Vater, der den Kindern eine Gute-Nacht-Geschichte erzählt. Diesmal singt
Luca Zabbini die Lead-Vocals selbst. Er hat ein dunkleres Timbre als der Lead-Sänger, was dem Song „THE SOUND OF DREAMS“ eine ein wohliges Gefühl verleiht.
SPINNING AWAY“ trommelt mich aus den Träumen und bringt in die Hektik der Arbeitstage zurück. Fetzige Gitarrenrhythmen vom Gitarristen Marco Mazzuocoolo
werden hier mal im Fusion-Stil mal rockig mit dem tänzelnden Piano verwoben, ein kompaktes Stück in dem man die Luft anhalten muss um keine Passage zu verpassen.
Tolle Kombination, die kaum Vergleich mit anderen Bands finden lässt.
Kein müdes klassisches Piano führt den Hörer in „TIRED“ ein. Ein symphonische Stück, welches wieder voller Inbrust gesungen wird. Interessant ist hier
nicht nur der gesamte Instrumentierung des Songs, sondern auch das Fixpunkte setzende Schlagzeug-Spiel von Eric Ombelli. Ein tolles Gitarrensolo vom Gitarristen mit den
8 Vokalen im Namen lässt hier auch die schwermetallige Farbe der Band aufblitzen. Nur wird hier eben nicht dümmlich auf düsteren Akkorden rumgehämmert und gegrölt,
sondern diese werden lustig mit Jazzeinlagen aufgelockert und der Gesang vermittelt und der Gesang bleibt im typisch italienisch-melancholischen Optimismus.
Ein wenig nachdenklich, dafür mit weit ausufernden Klangteppichen beweist eine weitere musikalische Facette in der sich die Band bewegt. Erinnerungen an die großartigen
Werke der Nach-Gabriel- noch mit Hackett-Genesis-Ära werden bei mir wach. Wer „Entangled“ mag, der wird wohl auch „A WINTER‘S NIGHT“ mögen.
Der ganz große Kracher und bisher der Song meiner Top 3 des Jahres 2015 und würdiger Abschluss des Albums ist „THE LONGEST SIGH“. Ein gutes Beispiel für diese
jungen Bands, die voller Spielfreude und musikalischen Kraft sind. Eine schöne moderne Mischung aus kompaktem Neo- und Retro-Prog bietet hier die Band an, die mich auch
an die schwedischen Moon Safari erinnert. Vielleicht verrate ich jetzt auch ein kleines Geheimnis, aus solchen tiefgehenden künstlerischen Werken schöpfe ich unheimlich Kraft
undOptimismus. Ganz so wie aus den wundervollen Yessongs der fast fünf Dekaden, musste ich gerade diesen Song gleich mehrmals hintereinander anhören. Ganz großes Kino!
[BBvideo 360,250][/BBvideo] Die Band Barock Project hat sich mit „Skyline“ zum Vorgänger „Coffee in Neukölln“ gesteigert, aber es ist auch noch Platz nach oben. Die Produktion des Albums ist ausgewogen, manchmal etwas zu clean. Hin und wieder ein paar Ecken und Kanten würden dem Album gut tun, es ist aber im grünen Bereich. Die Hinzunahme der beiden neuen jungen Bandmitglieder hat das Bandspektrum erweitert. Auf die Liveauftritte kann man gespannt sein, ein Live-Bassist wurde angeheuert.

Bewertung: 9 von 10 Punkten – für mich ein großer Anwärter für die Top 10 Alben des Jahres 2015. Die Art-Rock-Fans, insbes. Die ELP-Fans sollten das Album unbedingt testen!!!


Homepage Barock Project: http://www.barockproject.net/
Facebook Luca Zabbini: https://www.facebook.com/luca.zabbini?fref=ts
Facebook Fanpage: https://www.facebook.com/barockproject?fref=ts
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Aprilfrost
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Re: Album der Monats August - Barock Project - "SKYLINE" (2015)

Beitrag von Aprilfrost »

Wow, danke für diese fundierte und begeisternde Rezi. Das Album wird mit Sicherheit demnächst neben dem Neuköllner Café in meiner Audiothek stehen. Mir hat an der Rezi besonders gefallen, wie Du das Album in den Kontext der Bandgeschichte und die Band in den Kontext der Proggeschichte gestellt hast. :good:
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nixe
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Re: Album des Monats August - Barock Project - "SKYLINE" (2015)

Beitrag von nixe »

THX JJG, als Du uns diese Band mit diesem Album das erste Mal präsentierst hast, war ich einer derjenigen, die dafür gesorgt hatten, daß dieses Album nun ausverkauft war! Nur leider lieferte jfk kurz vor der Lorelay & ich habe es noch nicht geschafft hinein zu hören! Also Danke für die ErinnerungsGlocken!!! :jc_doubleup:
Tschüß
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SOON
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Re: Album des Monats August - Barock Project - "SKYLINE" (2015)

Beitrag von SOON »

Danke für die Vorstellung dieses Albums.
Da hast du uns auf eine Band aufmerksam gemacht, deren Album 2015 sicher zum interessantesten im Progbereich zählt.
Was ich bei vielen Progbands vermisse sind griffige Melodien aber die gibt es hier.
Da werde ich bei der nächsten justforkicks Lieferung zuschlagen.
:jc_doubleup:
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nixe
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Re: Album des Monats August - Barock Project - "SKYLINE" (2015)

Beitrag von nixe »

So, nun endlich auch gehört, tolle Scheibe! THX JJG!!!
Tschüß
nixe

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Re: Album des Monats August - Barock Project - "SKYLINE" (2015)

Beitrag von SOON »

hab mich nun auch mal genauer mit dem Album befasst.
Ich finde diese CD rundum gelungen.
Mir gefällt gut, dass man sich hier viel Mühe beim Songwriting und den Melodien gemacht hat.
Das Album ist gut durchkomponiert und kann sein Niveau halten.
Es gibt schöne Arrangements, toll z.B. der Flöteneinsatz beim Titelstück.
Und auch Streicherklänge finde ich bei Studioalben toll, wenn sie nicht sülzig rüber kommen.
Es gibt inzwischen so viel Progalben, da muß man sich heutzutage schon einiges Einfallen lassen um Altfans nicht zu langweilen.
Was mir weniger zusagt (das ist aber reine Geschmacksache) ist der Gitarrist.
Für diese aufwendig inszenierten Songs spielt er mir viel zu rifforientiert.
Soli driften mir auch zu stark Richtung Metal. Aber sonst -> :dh:
7/10 Pkt.

Faves:
Gold
Skyline
The Longest Sigh

Nicht schlecht aber nicht mein Ding:
Roadkill
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biggenerator
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Re: Album des Monats August - Barock Project - "SKYLINE" (2015)

Beitrag von biggenerator »

@JJG: Danke auch von mir für die schöne und sicher aufwändige Rezension.
SOON hat geschrieben: Es gibt inzwischen so viel Progalben, da muß man sich heutzutage schon einiges Einfallen lassen um Altfans nicht zu langweilen.
Genau das ist es, was mich oft zögern lässt, neue,aktuelle Scheiben zu kaufen.

Diese Platte hier wurde aber auf eine Art nahegebracht, dass ich Sie mir "unter den Baum" legen lassen werde.
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Bergkkeller Reichenbach / prog-rock.club
Artrockfestival XI - 14.–16. April 2023
https://prog-rock.club/ und https://prog-rock.club/artrock-festival-xiii_2025/


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