Klaus Doldinger's Passport "en route"

Album des Monats:

Hier werden Albumreviews aller Bands gesammelt.
Antworten
Benutzeravatar

Topic author
JJG
Ehren-Admin
Beiträge: 9748
Registriert: Fr 27. Okt 2006, 16:20
Wohnort: Bad Lobenstein
Has thanked: 1468 times
Been thanked: 1096 times

Klaus Doldinger's Passport "en route"

Beitrag von JJG »

So kennt man ihn - ständig unterwegs, so das Lebensmotto als auch der Titel seines neuen Albums "en route"
Der Klaus mit dem Reisepass - Klaus Doldinger's Passport

Bild

Doldinger besucht auf seiner Reise nicht die großen Monumente, nicht die berühmten Sehenswürdigkeiten und betrachtet auch nicht große
Naturschauspiele. Er taucht nicht in Landschaften ein, macht keine Flussfahrt oder Schiffsreise oder besucht keine botanische Gärten oder Museen.

Aber man kann seine Reise riechen oder atmen.
Warum?

Seine musikalische Tour führt zu den Menschen oder zu den Orten an denen sie sich ansammeln. Auf dem Opener „Seven to Four“ wird das ganze
Stück von einem musikalischen Herzschlag untermalt, der quasi den Pulsschlag ansteigen lässt. Eine eigene Vorfreude auf das was da kommt.
Hier bildet das Piano den Grundrhythmus auf dem die anderen Instrumente phrasieren dürfen. Wie ein Basar auf dem viele Menschen unterschiedlicher
Herkunft aufeinandertreffen, die miteinander kommunizieren obwohl sie die Sprachen der Anderen nicht wirklich sprechen können, aber mit diverser
Gestik eine Plattform für ein Verstehen gefunden wird. Hier wird gehandelt, werden die Waren feil geboten, die Düfte der verschiedenen Gewürze steigen
auf und man versteht sich auch ohne die Kultur des Anderen wirklich zu verstehen. Die Melodie wird weitergegeben wie in einen Jam-Session – Jazz der lebt.
Gedanklich bin ich hier auf einem Basar in Marrakesch.

Im zweiten Stück „Polysadness“ breitet sich gleich Melancholie aus. Man steht im Regen, ein Geruch von feuchter Erde steigt auf, die Autos rasen
vorbei und es ist nicht wirklich jemand zum Reden da. Die Menschen gehen tiefgebeugt hektisch aneinander vorbei, die tosende Stille einer Großstadt in
der uniforme Büromenschen wortlos aneinander vorübergehen, sich die kalten Lichter in den öligen Pfützen und den blanken Karossen der dicken Auto
spiegeln. Trotzdem ist da irgendwo ein warmes Licht, man muss es nur anzünden. Ein Mollthema mit einer Sehnsucht nach Wärme in Dur.

Number 3 wird als „Infusion Rag“ bezeichnet und hier wird wirklich sofort Funk in die menschlichen Membranen eingeflößt. Es swingt, so als würde
man nach dem endlosen Weg an einem Fenster vorbeigehen und die Leute lächeln einem zu, eine Einladung die Kälte abzustreifen. Doldinger lässt hier
auch aktuell angesagte Rhythmen und Spielweisen zu, die man in den diversen Tanztempeln hören kann, unendliche Bewegung, die Schweißtropfen bilden
kleine Seen auf dem Fußboden über den die schwarzen Lackschuhe der Herren gleiten und sich an die High Heels der Damen stoßen.

Auf „Dreaming far away“ nimmt man im Foyer einen bequemen Sessel ein und nimmt die Musik nur noch aus der Ferne wahr. Fremde Trommeln,
die sich mit den pulsierenden Lichtern mischen, fast unbemerkt entschwindet man dem, was um einen herum passiert, der Lärm des Flurs mischt sich mit
den Geräuschen der Straße. Aus dem gegenüberliegenden Haus schaffen es hin und wieder exotische Melodien und Klänge herüber.

Am Bahnhof angelangt blickt man in den Bildschirm und sieht tausendfach aneinandergereiht den Jahrhundertsprung von Felix Baumgartner. „Stratosport
vielleicht eine neue Olympische Sportart, eine Suche nach immer mehr Herausforderung, das Verschieben der menschlichen Grenzen und überschrittene Grenzen
manchmal mit und manchmal ohne Sinn und Verstand.

In „Hopegiving“ steigt selbige wieder auf, nachdenklich, in den Arm nehmende Bläsertöne, in der Ferne hallt der Chor wider, ein Blick zurück und wieder
dann voraus. Ein wenig traditionell, old fashned, mit der E-Piano Hommage an Chick Corea und Fusion-Gitarre. Mit „Marock“ geht’s alternierend von den 70ern
in die 80er und wieder zurück … mit dicken Blasern und Bass. Mal hier mal da … Darüber tönt das Sax und fühlt sich in diesem Bett wohl und tobt sich aus und macht
dann Platz für die Gitarre, die hier und da an Di Meola erinnert, aber immer swingt.

Blue Kind of Magic“ erinnert schon auch an den großen Trompeter und die unendlichen Weiten der Jazzmusik auf eine ganz relaxte Weise. Erstaunlich in welchen
Bahnen sich Klaus D. bewegt, aber er hat ja den Reisepass, nicht für ferne Länder, sondern für ferne musikalische Epochen. Alles wirkt entspannt, er muss nichts
beweisen. 80 Jahre und kein bisschen alt.

Zum Schluss noch zwei interessante Liveaufnahmen, Doldiger beginnt mit einem Solo und lässt dann das Piano einsetzen. „Dark Flame“ erinnert stark an seine
Filmmusiken ist eher sparsam instrumentiert und lässt zuerst das Sax stark in den Vordergrund und erinnert so an einen einsamen fragenden Menschen der auf der
Suche ist und dann im zweiten Teil die Antworten, die vom Piano gegeben werden. Die Auflösung erfolgt dann im Duo beider Instrumente.

Im Kontrast dazu dann die „Playground Jam“, die mit Disharmonien (Disharmonien gibt es nicht wirklich!, oder?) beginnt und langsam zu den Harmonien im Jazz
findet (gibt es Harmonien im Jazz?).

So nun taucht selbst in Doldingers "Menschengetümmel" ein.

Weitere Facts gibt's hier auf der Homepage:
http://klaus-doldinger.com/

Den Lebensweg beschreibt Wikipedia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Klaus_Doldinger


Bild

Tracks:

01. Seven To Four
02. Polysadness
03. Infusion Rag
04. Dreaming Far Away
05. Stratosport
06. Hopegiving
07. Marock
08. Blue Kind Of Mind
09. Dark Flame (Live)
10. Playground Jam (Live)

Besetzung:

Klaus Doldinger: Tenor- und Sopran-Sax
Ernst Ströer: Percussion
Patrick Scales: E Bass
Biboul Darouiche: Percussion
Michael Hornek: Keyboards, Piano
Christian Lettner: Drums
Martin Scales: Guitars

Zum Schluss noch was zum hören/sehen:

"Seven to four" mein Lieblingsstück vom Album:

"We are truth made in heaven, we are glorious" (Anderson/Stolt 2016)

Saaldorf
Benutzeravatar

SOON
Website-Betreiber
Beiträge: 11877
Registriert: So 9. Mär 2008, 16:20
Has thanked: 665 times
Been thanked: 764 times

Re: Album des Monats: Klaus Doldinger's Passport "en route"

Beitrag von SOON »

Der Clip reißt mich jetzt, auf Anhieb, nicht so mit.
Allerdings überzeugt mich der Text von JJG, Danke dafür! :good:
"en route" wird, auf jeden Fall, den Weg in meine Sammlung finden.
MAKE PROG NOT WAR ! ---> ---> My 2024 Album Faves
Antworten

Zurück zu „Albumvorstellungen“