Banco del Mutuo Soccorso - Live 1975, Seguendo le Tracce

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Max
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Banco del Mutuo Soccorso - Live 1975, Seguendo le Tracce

Beitrag von Max »

Heute will ich mal ein unbekannteres Livealbum einer unbekannten italienischen Band aus dem progressiven Bereich vorstellen. Die Band um die es geht ist leider ziemlich unbeachtet, obwohl ihre Musik der Musik ihrer englischen Mitstreiter mindestens ebenbürtig ist.
Dadurch, dass hier zwei Keyboarder (die Gebrüder Nocenzi) vorhanden sind (der eine vornehmlich am Klavier, der andere an Hammondorgel und Synthesizer), ist die Musik entsprechend keyboardlastig.
Es geht um „Banco del Mutuo Soccorso“ und ihre wohl beste Liveaufnahme aus 1975, herausgekommen aber erst vor einigen Jahren unter dem für Nicht-Italiener unscheinbaren Namen Seguendo le Tracce.



Vittorio Nocenzi
Keyboards, Synthesizer
Gianni Nocenzi
Piano, E-Piano, Clarinet
Rodolfo Maltese
Guitars, Trumpet
Renato D'Angelo
Bass
Pier Luigi Calderoni
Drums, Percussion
Francesco Di Giacomo
Vocals


1.Outside [R.I.P. english version] („Same“ 1972; „Banco“ 1975) - 8;58
2.L'albero del pane („Banco“ 1975) - 5;01
3.a) La danza dei grandi rettili („Darwin!“ 1972)
b) Canto Nomade per un Prigionero Politico Pt.2 („Io Sono“ 1973)
...11;31
4.Passaggio („Same“ 1972) - ;50
5.Non mi rompete („Io Sono“ 1973) - 6;03
6.Dopo ... niente è più lo stesso („Io Sono“ 1973) - 12;36
7.Traccia II („Io Sono“ 1973) - 3;27
8.Metamorfosi („Same“ 1972) - 26;15
Gesamtlaufzeit 74;41


Schaut man in die Banddiskografie und vergleicht die mit der Liste oben, sieht man, dass die ersten drei Alben der Band (Same, Darwin!, Io Sono Nato Libero) recht ausgewogen vertreten sind, auch wenn „Darwin“ nur ein Stück ins Rennen gebracht hat; dafür wird hier aber auch die zeitnächste Skurrilität angespielt, die 1975 herausgebrachte Compilation „Banco“ mit englischen Versionen der Band-Klassiker. Die Folge aus dieser Feststellung? - Das Livealbum bietet einen tollen Überblick und macht es für diejenigen interessant, die das Wichtige der Frühphase von Banco kennenlernen wollen.
Nur noch ein Wort zum Sound: der ist nämlich live deutlich moderner und klarer als im Studio. Ein Phänomen welches leider nicht häufig auftritt.

Die 2005 herausgebrachte CD beginnt direkt mit meinem absoluten Banco-Liebling, RIP (Ruhe in Frieden), das elegant den Grat zwischen hartem Rock (im ersten Teil) und mediterranem Bombast (im zweiten Zeil) meistert, wobei der erste Teil ist hier in Englisch gesungen ist... zumindest soll es Englisch sein, wahrscheinlich ist es eher Italienglisch. :)
Live kriegt der Song aber ein gelungenes modernes Gewand umgelegt; erstmals kommen hier Synthesizer in die Melange, die in einem neu eingebauten Mittelteil kühle Soundflächen auf dem krummen Schlagzeugrhythmus zaubern und mit der perkussiven Hammondorgel am Anfang Funk-Anleihen deutlich machen. Im zweiten Teil ist der ausdrucksstarke Gesang von di Giacomo und die originalgetreue Instrumentierung (mit Klavier) lobenswert, die durch die gezupften Akustikgitarren aber erheblich bereichert wird. Ein gelungener Opener; dass das italienische Publikum den italienischen Gesang bevorzugt zeigt der Applaus am Anfang des zweiten Teils, in dem wieder in der Muttersprache von Banco gesungen wird.

L'albero del Pane (Der Brotbaum) ist auch wieder von der englischen Kompilation genommen, stellt aber das einzige italienische Stück darauf dar. Hier zeigen sich Banco von ihrer rockigen Seite, sehr gelungen ist hier aber auch neben der kirchenliedähnlichen Melodie das Zwischenspiel von Klarinette, Orgel und Schlagzeug. Eine ähnliche Richtung verfolgte die Band dann auch mit ihren nächsten Alben: interessante Musik kann man nämlich auch in kürzeren Stücken unterbringen.

La danza del Grandi Rettili stammt von „Darwin!“ und stellt eine jazzig swingende Nummer dar, mit viel Klavier und großen Emerson-Anleihen. Wundervoller Jazzrock, der im Mittelteil bis ins absolut Freakige gebracht wird: auf einem wuseligen Gerüst von Orgel und Schlagzeug darf Gitarrist Marcello Todaro ein Freejazz-Trompetensolo blasen, bis Nocenzi am Synthesizer für diverse Störgeräusche sorgt, die in den auf der CD nicht genannten Endteil von Canto Nomadeper Un Priginiero Politico mit seinen furiosen Akustikgitarren-Bongo-Ausbrüchen überleiten.

Die ruhige barocke Spinettkomposition Passagio, die hier allerdings auf dem Synthesizer gespielt wird, verbinder den Nomadengesang mit einer beeindruckend schönen italienischen Ballade, Non mi Rompete mit sanfter Klarinette, Hammondorgel, Gesang und viel Akustikgitarre. Zwar erinnert das eher an Pfadfinderabende als an Rock, überzeugt aber durch pure Schönheit und das Mittelmeerfler. Nach so viel hartem Prog tut aber ein bisschen Frieden wieder gut, denn weiter geht es mit der zweiten Halbzeit.

Und die beginnt mit dem klassisch rockenden Dopo....Niente E Piu Lo Stesso, das den klassischen symphonischen Progressiverock mit kühlen, schwebenden Soundflächen verbindet. Dazwischen sorgt die ausdrucksstarke Stimme von Francesco di Giacomo für Abwechslung. Nachdem am Ende die Klaviertöne in ewigen Klangflächen versiegen, geben die 6 Italiener ihre Klassikrockkomposition Traccia II zum Besten, der mit Trompete von Maltese und viel Keyboard ein bisschen schwungvollen Bombastrock demonstriert.

Zum Schluss verwandelt Banco ihren „Klassiker“ (zumindest reagiert das Publikum recht wild) Metamorfosi in eine fast halbstündige Improvisationsorgie. Nach dem hammondorgellastigen, klassisch angehauchten Beginn darf Gianni Nocenzi ein paar Minuten lang, teilweise mit ungestümer Schlagzeugbegleitung, sein Klaviersolo hinlegen, das sich wirklich sehen lassen kann. Nach dem Klavier ist der Synthesizer dran, der hier wieder die kalte Soundlandschaft aus „Dopo...“ zurückholt. Auch am Schlagzeug gibt es ein interessantes Solo zuhören. Mitten darin kommt eine jazzige Klavierlinie dazu, die das Stück wieder etwas vorwärts bringt, bis nach 20 Minuten Francesco di Giacomo mit seiner mächtigen Gesangslinie einsetzt und das Werk so nach einem kurzen Uptempostück zu Ende bringt.

Mehr als 74 Minuten hat dieser Hörgenuss nun gedauert, der von mir nach BBS/Oberstufen-Bewertung die Höchstnote 15/15 bekommt.
Abseits von irgendwelchen Vergleichen wird hier eigenständig und spielfreudig musiziert. Wer mit progressiver Rockmusik etwas anfangen kann, sollte die 15 Euro investieren und sein Glück bei dieser doch sehr anspruchsvollen Livescheibe versuchen. Bei mir hat sie jedenfalls „Yessongs“ vom Platz 1der besten Livealben verdrängt und findet sehr häufig den Weg in meinen CD-Spieler.
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