Das gestrige Konzert in HH war in jeder Hinsicht das "erste Mal". Nicht nur für mich persönlich, weil es mein allererstes Yes-Konzert überhaupt war, sondern auch für Yes war es das erste Mal seit langem ein Konzert in Hamburg (wo sie 2003 das letzte Mal zu sehen waren), das erste Yes-Konzert in Deutschland seit dem kurzfristig abgebrochenen Gig in Leipzig 2004 und nicht zuletzt auch das erste Yes-Konzert in Deutschland ohne ein einziges Gründungsmitglied. Nachdem man sich nun nach einigen Jahren an Geoff Downes und Jon Davison in der Band gewöhnt hatte, lastete der Druck an diesem Abend besonders auf Billy Sherwood, den man natürlich auch schon von "früher" kennt (früher heißt in dem Fall 1994 - 2000, beschränkt auf seine Einsätze als Livemusiker und vollwertiges Yes-Mitglied), allerdings auch nur als Zweitgitarrist. Nun muss er sich gänzlich auf den Bass konzentrieren und damit das nicht gerade unbedeutende Erbe eines Chris Squire antreten und fortführen. Nachdem aber nun seit dem 27. Juni 2015 eine Reunion des klassischen Yes-Line-Ups für immer ausgeschlossen ist, ist es für mich persönlich schon einiges wert, zumindest zwei langjährige und den Bandsound für Yes prägende Mitglieder (Steve Howe und Alan White) live gesehen zu haben. Dank eines freundlichen Spenders zu meinem Geburtstag bekam ich einen Platz in der ersten Reihe direkt vor Steve Howe geschenkt, ebenso übrigens Royale, der links neben mir saß (der freundliche Spender nahm indes mittig in der vierten Reihe Platz). Eigentlich war verabredet, dass wir uns alle ca. eine Stunde vor dem Konzert vor der Halle treffen würden, dann kam jedoch noch ein unvorhergesehenes Ereignis dazwischen (die Beteiligten mögen sich an dieser Stelle lieber selbst dazu äußern
), so dass die anderen erst kurz vor Beginn des Konzertes eintreffen konnten.
Das Konzert begann relativ pünktlich gegen 20 Uhr. Zunächst zeigte die LED-Wall auf der Bühnenrückseite in Gedenken an Chris Squire eine Bilderstrecke des im vergangenen Jahr verstorbenen Yes-Bassisten aus allen Jahrzehnten seiner Mitgliedschaft (das Ganze unterlegt mit der Squire-Komposition "Onward" vom 1978er Yes-Album "Tormato"). Zur selben Zeit stand auf der Bühne im Vordergrund ein einsamer Rickenbacker 4001-Bass, der von einem der Scheinwerfer angestrahlt wurde. Am Schluss wurde der Schriftzug "Chris Squire (1948 - 2015)" eingeblendet und es gab ruhigen, andächtigen Applaus.
Dann der eigentliche Beginn des Konzertes: Zu den Klängen des Auszugs des "Young Person's Guide To The Orchestra" von Benjamin Britten, der sich seit Ende der 70er bei Yes-Konzerten immer mal wieder mit der "Firebird Suite" als Konzertintro abwechselt, kamen die Yes-Men nacheinander auf die Bühne, winkten kurz, und begaben sich an ihre Instrumente. Los ging es mit der Komplettperformance des 1980er "Drama"-Albums, eine gute Wahl für die Herren, um sich schon einmal warmzuspielen. Soundmäßig war es aber zunächst nicht so das gelbe vom Ei. Über die ganze erste Konzerthälfte waren Steve's Gitarren deutlich zu laut zu hören. Okay, nun saß ich auch ziemlich direkt vor ihm, aber Steve selbst schien es auch gemerkt zu haben und hat zeitweise immer wieder versucht, das Ganze durch "geheime" Handzeichen an die Tontechniker zu regeln. Insgesamt könnte auch das Venue selbst an mancher soundtechnischen Katastrophe schul sein. Das im vergangenen Jahr eröffnete Hamburger "Mehr! Theater" ist im Grunde nichts anderes als eine große ehemalige Markt- und Handelshalle mit integrierten Sitzreihen. Zumindest habe ich das Gefühl, dass die ebenfalls oft für ihre Akustik kritisierten CCH und Alsterdorfer Sporthalle in der Hinsicht nicht unbedingt schlechter abschneiden. Ich bin gespannt, wie das im Oktober bei King Crimson sein wird (spielen ebenfalls im Mehr! Theater).
Was auch eher wenig zu hören war, war der Backgroundsatzgesang von Billy Sherwood und Alan White's Drum Kit (zumindest bei letzterem hörte man überwiegend nur Bassdrum, Snare und Becken, die Fills und Breaks gingen völlig unter). Die hätte ich teilweise lieber gehört als Teile von Geoff Downes' Einsätzen. Dass er kein Rick Wakeman oder Patrick Moraz ist, ist klar, aber selbst bei den von ihm persönlich mitgeschriebenen Songs der "Drama" gab es da öfters Huddel von ihm (da stehen die Aufnahmen auf "In The Present - Live from Lyon" von 2009 mit Oliver Wakeman keineswegs schlechter da). Den anderen Songs (insbesondere von "Fragile" in der zweiten Hälfte) schaffte er es auch nicht, seinen eigenen Stempel aufzudrücken, wie es etwa Patrick Moraz oder Igor Khoroshew getan hatten. So versuchte er immer, wie Wakey zu spielen, aber es war wahrscheinlich nichtmal wie Oliver oder Adam. Somit war er auch am besten, wenn er nur Hammond-Sound-Akkorde wie weiland Tony Kaye spielte (wie bei "Time And A Word" oder "Starship Trooper").
Zurück zu den "Drama"-Songs: "Machine Messiah" heizte schon mal kräftig ein und es klang auch gewaltig, ein guter Start fürs Konzert (trotz kleiner taktischer Ungenauigkeiten kurz vor dem ersten Gesangsteil). "Man In A White Car" spielte man wieder als kurze Verschnaufspause bis zum nächsten treibenderen Stück (und nicht wie auf der 1980er Tour als ausgedehnteres Geoff Downes Solo, obwohl er das vielleicht eher hätte spielen können als später "Cans And Brahms"). Als nächstes stand "Does It Really Happen" auf dem Plan, das wie auch die folgenden drei Stück dem Original sehr nahe kam. Eine echte Überraschung war tatsächlich "Run Through The Light", welches ich an sich immer eher etwas unspektakulärer fand, aber hier war es definitiv ein Highlight. Auch an den übrigen "Drama"-Songs "Into The Lens" und "Tempus Fugit" war nichts auszusetzen auch wenn sie natürlich etwas langsamer gespielt wurden als vorher und trotz der angeprochenen Schwächen von Downes.
Nun folgte "Time And A Word", auch hier hielt man sich sehr am Original, und das, obwohl von dem Line-Up, das diesen Song damals schrieb und einspielte, keiner mehr in der Band spielt. Neben Howe glänzte hier besonders Sänger Jon Davison, er schien teilweise, als sei dieser Song extra für ihn geschrieben worden. Auch hier wurde auf dem LED-Screen kurz dem 2013 verstorbenen Yes-Ur-Gitarristen Peter Banks gedacht.
Mit "Siberian Khatru" endete die erste Konzerthälfte noch einmal richtig rockig, hier musste aber neben Downes vor allem Steve Howe Abstriche machen, anscheinend wird der Song mit zunehmendem Alter immer schwerer spielbar für ihn (zumindest seit ca. 2003). Bei seinem Solo konnte er trotzdem glänzen, lediglich den Live-Schlusspart musste man sich "dazu denken", da schien er auch alles andere, aber eben nicht jenen Live-Schlusspart gespielt zu haben. Auch sah man bei Jon Davison, wie er immer wieder sehr rhythmisch auf sein elektronisches Hand-Drum-Set schlug, zu hören war davon jedoch nichts.
Nach einer Pause von 20 Minuten mit netten Gesprächen, Brezeln und Gerstensaft ging es weiter mit dem Titelsong vom "Going For The One"-Album, auch hier vermögen es die Herren einen immer noch einzuheizen. Auch auf Jon Davisons Einsatz bei den sehr hohen Gesangsstellen war Verlass, wie er überhaupt auch bei allen Songs des Abends einen ausgezeichneten Job gemacht hat, obwohl er natürlich kein Jon Anderson ist und auch nicht sein will.
"Owner of A Lonely Heart" musste natürlich sein, um auch der Ära mit Trevor Rabin Tribut zu zollen, schade ist nur, dass in den letzten ca. 15 Jahren immer nur die Nummer als Alibi-Song dafür herhalten muss. Wie gerne würde man doch mal wieder "Changes", "It Can Happen", "Hold On" oder "Hearts" hören. Vielleicht gibts das ja stattdessen bei den geplanten Anderson/Wakeman/Rabin-Konzerten zu hören. Gespannt sein kann man ja. Immerhin gab es bei der Performance des Songs nix auszusetzen. Auch Steve sah so aus, als hätte er an der Nummer endlich Spaß gefunden und orientierte sich bei seinem Solo sogar mehr als früher an Rabin. Auch beim Schlusspart durfte er nochmal ein zweites Solo nachlegen und ließ dabei sogar kurz "Yours Is No Disgrace" anklingen.
Darauf folgte nun die zweite Komplettperformance eines Yes-Albums: Es ging zurück ins Jahr 1971 und zu "Fragile". Dadurch war es auch mal sehr angenehm, "Roundabout" mal nicht im obligatorischen Zugabenteil, sondern quasi in der Mitte zu hören, was ja bei Yes nun nicht allzuoft vorkommt. An der Performance gab es nix auszusetzen (sogar Geoff Downes vermochte mal kurzzeitig zu überraschen), aber dürfte ja auch kein Wunder sein bei einem Song, der nun von Anbeginn bei jeder Tour in der Setlist gewesen ist.
Zwei der kurzen Solo-Stücke hätte man sich trotzdem eventuell sparen können, nämlich "Cans And Brahms" (eignet sich nicht wirklich live und auch Rick hat hier live immer eher auf die "Six Wives" gesetzt, zu Recht) und das Bruford-Stück "5 % For Nothing", dem Alan White nicht wirklich gewachsen war (die für das Stück charakteristischen Ghost Notes auf der Snare, die sowieso immer eher Brufords Metier waren, wurden völlig weggelassen, so dass es sich noch abgehackter anhörte, als es ohnehin schon ist). Bezogen auf die beiden sich noch in der Band befindlichen Yes-Veteranen macht sich das Alter bei Alan wohl am meisten bemerkbar. Vielleicht wäre hier stattdessen ein "And You And I" oder "All Good People" besser gewesen, die an diesem Abend überraschenderweise gar nicht gespielt worden sind (hatte immer gedacht, die wären Standard).
Von "South Side of The Sky" hat es sicherlich schon bessere Versionen gegeben, insbesondere 2003/04, wo Steve zusammen mit Rick immer so schön über den Schlusspart gejammt hatte. Hier war Downes so gut wie gar nicht zu hören, so dass es schien, als Steve immer nur für sich allein ein kurzes Solo einwarf. Auch Billy Sherwood kam nur schwer mit Bass und Backgroundgesang durch, ebenfalls eine charakterliche Spezialität des Songs. Immerhin waren Jon Davidson's E-Percussions nun endlich mal zu hören, ob man diese allerdings bei diesem Song wirklich gebraucht hat, sei mal dahingestellt, vielleicht hätte es auch ein Tambourin getan.
Nun war es Zeit für das Doppel "Long Distance/The Fish", wobei ersteres wieder sehr gut und dicht am Original war. Danach stand aber nun Billy Sherwood seine endgültige Bewährungsprobe als Squire-Nachfolger bevor. Und die meisterte er tatsächlich perfekt, wenngleich sein Bass natürlich den klirrend-scharfen Charakter von Chris' Rickenbacker vermissen ließ, ging er trotzdem wie bei seinem Vorgänger in Bein und Mark und auch die solistischen Fähigkeiten von Billy, den man, wie gesagt, ja nur als Gitarristen kannte, ließen nichts zu wünschen übrig. Ich denke, Chris hatte auf der Suche nach seinem Nachfolger einen guten Riecher.
Natürlich durfte auch Steve alleine an seiter akustischen Gitarre an diesem Abend nicht fehlen. Insgesamt würde ich sagen, dass er "Mood For A Day" immer noch so draufhat wie in den 70ern (zumindest besser als das schnellere "Clap"), auch wenn hier und da mal ein falscher Ton saß. Über die Gründe, ob die Saiten vielleicht falsch gestimmt/gespannt oder Steve mit der linken mal verrutschte, kann nur spekuliert werden.
Auch wenn Downes, so schien es mir, den Abschlusssong des regulären Songs "Heart Of The Sunrise" zumindest überhaupt nicht verstanden hat (mir kam es so vor, als spielte er die aufsteigenden Mellotronakkorde vor "...lost in their eyes as you hurry by..." völlig andere Akkorde in einer völlig anderen Tonart spielte), war es ebenfalls ein Highlight für mich (immerhin hatte mich dieser Song vor ca. 10 Jahren endgültig zu Yes genagelt und nun hatte ich es endlich auch mal live erleben dürfen). Neben Howe und Davison, die hier besonders glänzten, trumpfte hier auch Billy Sherwood (neben bass- nun endlich auch mal background vocals-technisch) auf und man sah ihm die Freude an diesem Song wirklich an. Auch das Publikum war nun spürbar aus dem Häuschen (bei die Nordlichters duurt dat nu mal 'n beten;)) und bejubelte die Band mit Standing Ovations.
Als Zugabe folgte noch "Starship Trooper", das sich alleine schon wegen Downes sehr am Original auf dem "Yes Album" hielt , auf übermäßiges Solieren a la Rick verzichtete er komplett und beschränkte sich wie weiland Tony Kaye auf Begleitakkorde im Hammodorgel-Sound. Dafür solierte dann Steve etwas länger auf der Gitarre und das machte er wieder mal ausgezeichnet.
Ein nicht ganz perfektes, aber dafür, dass es mein erstes Mal war, schönes und unterhaltsames Yes-Konzert ging somit zu Ende.
Auch die gemeinsamen Unterhaltungen mit Royale und Topo waren mal wieder eine sehr schöne Erfahrung. Man war sogar noch so freundlich, mich zum Bahnhof zu bringen, obwohl es eigentlich nur eine S-Bahnhaltestelle dahin ist. Dafür hat man von der S-Bahn bis zum Veranstaltungsort dafür doch umso länger zu gehen (und verkehrstechnisch ist es der Straßenübergang dorthin auch nicht gerade der sicherste).
Auf den dritten im Bunde, soundchasing, sind wir leider nicht getroffen, vielleicht klappt es ja bei einem Forumstreffen innerhalb der nächsten Jahre noch einmal.
-Setlist des Abends:
Visual tribute to Chris Squire (unterlegt mit der Studioversion von "Onward")
Intro (Britten's 'Young Person's Guide To The Orchestra')
Machine Messiah
Man In A White Car
Does It Really Happen
Into The Lens
Run Through The Light
Tempus Fugit
Time And A Word
Siberian Khatru
--PAUSE--
Going For The One
Owner Of A Lonely Heart
Roundabout
Cans And Brahms
We Have Heaven
South Side Of The Sky
Long Distance Runaround
The Fish (Schindleria Praematurus)
Mood For A Day
Heart Of The Sunrise
Starship Trooper