Plädoyer für... (Musikexpress, September 2014)

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Fragile
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Plädoyer für... (Musikexpress, September 2014)

Beitrag von Fragile »

PLÄDOYER FÜR...RICK WAKEMAN!

Rick Wakeman steht für alles, was am Progressive Rock wenn nicht hassenswert, so doch belächelnswert ist. Wer so denkt, übersieht einiges.


Er war es, der in den frühen Siebzigerjahren die bis dahin eher unterstützende Funktion des Keyboarders in die märchenhafte Figur eines Zauberers verwandelte. Dem Archetyp des "Gitarrengottes" fügte er den "Tastengott" hinzu. Berüchtigt war er nicht nur für seine ausufernden Soli, sondern auch für seine weiten und gerne mit glitzernden Sternen bedruckten Umhänge. Auf der Bühne umzingelt von seinem Equipment wie ein wahnsinniger Physiker in seinem Labor, schaffte er es sogar, das Spiel auf den Tasten zu einem unterhaltsamen Anblick zu machen.
Berühmt für sein Umgreifen, Übergreifen und Spielen auf gleich mehreren Tastaturen wurde sein Kollege Keith Emerson von ELP - erfunden hatte es Rick Wakeman.
Klavier spielte er schon mit fünf Jahren, sein erstes elektrisches Piano bekam er mit zwölf. Nach dem Studium am "Royal College Of Music" in London begann er sofort keine vielversprechende, sondern sogleich eine märchenhafte Karriere als Sessionmusiker. Deshalb kennen auch solche Hörer seine Kunst, die ansonsten und aus guten Gründen um den progressiven Blährock mit seinem penetranten Kunstanspruch einen möglichst großen Bogen schlagen. Die flirrenden Sphärenklänge in David Bowies "Space Oddity" (1969)? Wakeman. Die düsteren Keyboardklänge, mit denen Black Sabbath auf SABBATH BLOODY SABBATH (1973) überraschten? Wakeman. Der schwankende Honky Tonk von Elton Johns "Razor Face" (1971)? Wakeman. Das perlende Piano in Cat Stevens "Morning Has Broken" (1971)? Wakeman. Und die schrillen Effekte auf "Get It On" (1971) von T. Rex? Wakeman.
Er wurde gebucht, weil er gut war. Vielleicht war er sogar der Beste seiner Zunft in einer anbrechenden Ära, die großen Wert legte auf technische Virtuosität und virtuose Beherrschung der Technik. Da hatte Wakeman mit den Strawbs bereits eine kurzlebige, aber eben eigene Gruppe gegründet, die er allerdings bald für eine sehr interessante neue Band verlassen sollte: Yes. Er war es, der zusammen mit dem Bassisten Chris Squire und dem Sänger Jon Anderson auf den Alben FRAGILE (1971) und CLOSE TO THE EDGE (1972) den speziellen Sound der Gruppe prägte. Wakeman war dabei, als Yes mit TALES FROM TOPOGRAPHIC OCEANS (1973) ihren Bogen überspannten und hohlen Pomp produzierten. Wakeman war es aber auch, den die folgende Tournee 1973/74 selbst so sehr unterforderte und langweilte, dass er sich ein Curry auf die Bühne bestellte und verspeiste. Tatsächlich ist Wakeman der vielleicht einzige Progrocker seines Zeitalters, dem eine astronomische Solokarriere glückte. Auch wenn diese Karriere schon 1973 mit THE SIX WIVES OF HENRY VIII ihren kommerziellen Höhepunkt erreichte und 1975 mit dem aufgedunsenen THE MYTHS AND LEGENDS OF KING ARTHUR AND THE KNIGHTS OF THE ROUND TABLE am künstlerischen Tiefpunkt angelangt war, als das Epos in der Wembley Arena aufgeführt wurde. On Ice. Von Schlittschuhläufern.
In den Achtzigerjahren stellte er - aus Dankbarkeit über einen überwundenen Alkoholismus - sein Können in den Dienst Gottes und nahm ätherische Platten auf, die noch heute gerne auf Kirchentagen gespielt werden. Heute arbeitet der Freimaurer viel für den Rundfunk und das Fernsehen, sein Erbe ist - trotz oder vielleicht auch wegen 90 veröffentlichten Platten - fast vergessen. Naja, nicht ganz. Alleine diese eine Stelle, an der nach zwölf Minuten in dem Titelstück "Close To The Edge" gleich mehrere Kirchenorgeln einzusetzen scheinen, sich ins Dissonante verschieben, bevor das eigentliche Keyboard quellend und erlösend emporschießt - darüber muss, wer Ohren hat, heute noch staunen.
Quelle: Musikexpress-Augabe September 2014; Autor: Arno Frank
He's seen too much of life,
and there's no going back...
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