Gone but not forgotten

Alles, was sonst noch mit Musik zu tun hat und woanders nicht hinpasst.

DocFederfeld
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Re: Gone but not forgotten

Beitrag von DocFederfeld »

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Michael Althen 1962-2011

Kein Musiker, sondern ein Journalist, ein Filmkritiker, dessen Artikel ich seit Jahren mit Freude gelesen habe. Ich war richtig geschockt und traurig, als ich heute morgen in der FAZ lesen musste, daß er viel zu jung und nach kurzer Krankheit gestorben ist. Ich hatte mich seit ein paar Wochen schon gefragt, warum seine samstäglichen Kolumnen nicht mehr erscheinen.
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Liebling, ich bin im Kino

Er hat sich vom Film immer berühren und niemals täuschen lassen: Der am Donnerstag im Alter von achtundvierzig Jahren verstorbene F.A.Z.-Filmkritiker Michael Althen wusste, dass ein Film nichts ist, wenn er uns nicht auffordert unser Leben zu überprüfen.

Von Claudius Seidl

Er hat den Himmel immer Himmel genannt, obwohl er, glaube ich, nicht besonders gläubig war. Es war der Ort, an dem er Robert Mitchum und James Stewart vermutete, um jetzt nur die zwei Wichtigsten zu nennen – er wusste, dass es diesen Ort geben musste, er hatte die beiden da ja selbst hingestellt, in seinen Nachrufen, die jeden Leser zu Tränen rühren konnten. Und zugleich waren diese Texte immer auch ein Trost, weil Michael Althen wie niemand sonst die Kunst beherrschte, diese Menschen, die doch eben gestorben waren, so genau zu beschreiben und so sehr zu lieben, dass sie noch einmal so lebendig wurden, wie sie es dann bleiben sollten in unserer Erinnerung.

Ach, Michael Althen ist gestorben, viel zu früh; es ist falsch und ungerecht, er war der größte aller Filmkritiker, und dass uns seine Texte bleiben, ist nur ein schwacher Trost. Schon weil er, bis zuletzt, immer genug Jugend im Kopf hatte, um so zu leben, zu denken, auf die Welt und auf die Filme zu schauen, als ob die besten Texte erst noch geschrieben werden könnten.

Wir waren Freunde, die allerbesten sogar, was ja einerseits nicht unbedingt in die Zeitung gehört. Und andererseits eben doch, weil eben beides, das Kinogehen, Filmegucken und das Schreiben, wenn man es so ernst und leidenschaftlich tut, wie Michael Althen das immer getan hat, zugleich das Alleröffentlichste und das Allerintimste ist. Manchmal ahnte man im Dunkel des Kinos, dass er kurz eingeschlafen war, und wenn die Vorstellung vorüber war, lachte er und meinte, im Kino einzuschlafen heiße, dem Film zu vertrauen. Manchmal, wenn es ihn richtig erwischt hatte und wenn er, der doch eigentlich immer den richtigen Ton traf, einen Zeugen oder einen Bürgen brauchte für so ein starkes Gefühl, manchmal zitierte er dann Herbert Achternbusch, der über Otto Premingers „River of no Return“ einmal geschrieben hat, er habe mitten in der Vorführung den Sitz gewechselt, „damit man den Blutfleck unterm Stuhl nicht auf mich bezog. So sehr hatte mein Herz geblutet.“

Ich weiß nicht mehr, wie man eine Filmkritik schreibt, wie geht das denn? Mit dieser Frage stand ich immer wieder in seinem Zimmer – und wenn er dann antwortete, dass er es selbst so gar nicht wisse, dann war das nicht kokett und erst recht nicht ironisch gesprochen: Es war der Ausdruck dessen, wie schwer er sich das machte, was sich doch so oft so leicht las. Natürlich verfügte Michael Althen, wenn es um Filme ging (und nicht nur da), über eine größere Kennerschaft und einen sichereren Geschmack als alle anderen. Aber wenn es um das Schreiben ging, war eben klar, dass mit Blaupausen und Satzbausteinen keine Wahrheit zu erringen war.

Es half nichts, sich die eigenen Gefühle, bevor sie sich überhaupt entfalten konnten, mit Ideologiekritik vom Leib zu halten – die Momente der Wahrheit, wie Michael Althen sie verstand, ereignen sich zum Beispiel in den Western von John Ford, in den Melodramen; oder wenn James Stewart in einer Komödie von Frank Capra den naiven Helden spielte. Es sind die Momente, in denen die ungeübten Kinogänger zu kichern oder zu gackern anfangen, weil sie sich fürchten vor der Wucht der Gefühle, die sie überwältigen könnte. Michael Althen hat sich immer berühren und niemals täuschen lassen vom Kino, der großen Emotionsmaschine, und dass die Texte, die auf diese Weise geschrieben wurden, weder theoriefern noch unpolitisch waren, das hat wundersamerweise sogar die Ideologiekritiker des Kinos überzeugt, die, als er anfing, noch den Ton angaben.

Es war die Praxis zu Richard Rortys theoretisch formulierter Forderung, dass es gefälligst die Werke sein müssten, die dem Kritiker die Kriterien ihrer Bewertung verraten. Es gab keinen anderen Kritiker, der, obwohl oder gerade weil er nicht für Eingeweihte schrieb, von denen, die er kritisierte, von den Filmern, den Autoren und den Schauspielern und Schauspielerinnen, so geliebt, verehrt und so genau gelesen wurde.
Seine aus dem echten Leben ins Schreiben mitgebrachte Zärtlichkeit

Er war neunzehn, als er seine ersten Filmkritiken schrieb, für kleine Münchner Blätter, die man eben wegen dieser Texte nicht vergessen hat – und als wir uns trafen, war er Anfang zwanzig, benahm sich sehr erwachsen und sah aus, als ob der junge Robert Mitchum in einem bourgeoisen Drama aus Frankreich die Hauptrolle spielte: sehr gut und männlich, sehr eindrucksvoll und so ungeheuer liebenswert mit seinem münchnerischen Bariton, dass es gar kein anderes Etappenziel geben konnte, als die Freundschaft dieses Mannes erringen zu wollen.

So ein Auftritt war natürlich Stilisierung, der eigenen Jugend und dem Stil der Achtziger geschuldet – aber mehr war es eben auch. Ein Film, ein Buch, eine Fernsehserie ist nichts, wenn darin nicht auch die Forderung steckt, das eigene Leben zu überprüfen. Und ein Kritiker ist nichts, wenn er das, was er im Leben ist, an der Garderobe abgibt, bevor er mit dem Schauen und dem Schreiben beginnt. Am Morgen nach der Nacht, in der seine Tochter geboren wurde, erinnerte er sich daran, dass die Zeitung auf einen Artikel von ihm wartete. Den schrieb er natürlich, und die Überschrift, die er selbst formulierte, hieß: „Liebling, ich bin im Kino“. Ach, vermutlich war es genau diese aus dem echten Leben ins Schreiben mitgebrachte Zärtlichkeit, welche die Leser seiner Texte spürten, auch wenn sie dem Mann niemals begegnet sind und auch sein Bild nicht vor Augen hatten.

Als es darum ging, irgendwie zu ergründen, woher Robert Mitchum seine Weisheit und seine Coolness hatte, da schrieb Michael Althen über das Leben eines Mannes, der, bevor er ein Filmstar wurde, ein Herumtreiber, ein Boxer und ein Fließbandarbeiter gewesen war. Michael Althen hat schon weise Texte geschrieben, da war er fünfundzwanzig und schrieb vor allem für die „Süddeutsche Zeitung“, deren Redakteur er dann bis 2001, bis zum Wechsel zu dieser Zeitung, war. Über Nebentätigkeiten als Boxer und Herumtreiber ist nichts bekannt – Michael Althen, geboren 1962 in München und so wunderbar münchnerisch im Habitus, dass man München gar nicht vermisste, wenn man nur ihn in der Nähe hatte, Michael Althen, der Filmkritiker, Autor und Regisseur dreier großer und bewegender Dokumentarfilme, Schriftsteller, Redakteur, Michael Althen war eben weise.

Und dieser Michael Althen, der nicht wusste, wie man eine Filmkritik schreibt, wusste, ohne dass er je ein Drama daraus gemacht hätte, sehr gut, wie man lebt, wie man seinen Mitmenschen eine Freude ist und warum die Antwort auf die Frage, ob es sich zu leben lohne, nur ein tief gebrummeltes „Ja“ sein konnte.

Heute ist er gestorben. Wie sollen wir nur leben, schreiben, schauen ohne ihn?
Weitere Links:

Süddeutsche Zeitung
Die Zeit

DocFederfeld
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Re: Gone but not forgotten

Beitrag von DocFederfeld »

Clarence Clemons 1942 - 2011

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SOON
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Re: Gone but not forgotten

Beitrag von SOON »

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Fragile
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Re: Gone but not forgotten

Beitrag von Fragile »

Ein sehr großer Verlust: Clarence hat den Sound von Bruce's E-Street Band jahrzehntelang geprägt. Was wären Songs wie "Thunder Road", "Dancing In The Dark" oder "Born To Run" ohne Clemons' markanten Saxophon-Soli? Und wer weiß, wie lange es die E Street Band noch geben wird: 2008 hat die Band ja auch schon Ihren Keyboarder Danny Federici verloren.
Ansonsten kann ich mich nur Soony anschließen: R.I.P., Big Man. You will be missed!

Springsteen über Clarence's Tod: Clarence lived a wonderful life. He carried within him a love of people that made them love him. He created a wondrous and extended family. He loved the saxophone, loved our fans and gave everything he had every night he stepped on stage. His loss is immeasurable and we are honored and thankful to have known him and had the opportunity to stand beside him for nearly forty years. He was my great friend, my partner, and with Clarence at my side, my band and I were able to tell a story far deeper than those simply contained in our music. His life, his memory, and his love will live on in that story and in our band. (Quelle: http://www.brucespringsteen.net/news/index.html)
He's seen too much of life,
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Re: Gone but not forgotten

Beitrag von BBQ.Master »

Der Tod des Big Man ist wirklich furchtbar, zumal nach seinem Schlaganfall eigentlich eine Besserung in Sicht war...

Ich frage mich aber auch, ob die E Street Band überhaupt noch weitermachen kann.
"It's better to burn out than to fade away ...because rust never sleeps." - Neil Young

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DocFederfeld
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Re: Gone but not forgotten

Beitrag von DocFederfeld »

BBQ.Master hat geschrieben:Der Tod des Big Man ist wirklich furchtbar, zumal nach seinem Schlaganfall eigentlich eine Besserung in Sicht war...

Ich frage mich aber auch, ob die E Street Band überhaupt noch weitermachen kann.
Ja, das ist tatsächlich die Frage, denn er war ja mehr als nur der Saxophonist, er war neben dem Boss selbst der bekannteste Musiker und ist ja auch auf dem legendären "Born To Run"-Cover zu sehen.

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Mein erster Gedanke heute morgen war, daß ich sehr dankbar bin, daß bei meinem allerletzten E Street Band Konzert 2009 in Frankfurt "Jungleland" gespielt wurde. Es war das einzige Mal in neun Konzerten, daß dieser Song überhaupt kam.

Eine schöne Würdigung gibt es bei Backstreets.

BBQ.Master
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Re: Gone but not forgotten

Beitrag von BBQ.Master »

Den Big Man kann man nicht ersetzen. Allein sein Auftreten war einmalig.
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Re: Gone but not forgotten

Beitrag von Fragile »

War heute auf der Kieler Woche bei einem Gratiskonzert von Chris Thompson (Ex-Manfred Mann's Earth Band). U.a. spielte er auch die Earth-Band-Version von Springsteen's "Spirits In The Night" und widmete den Song Clarence. Fand ich eine sehr nette Geste.
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Re: Gone but not forgotten

Beitrag von Member X »

Peter Falk: Mich hat der Inspektor mehrere Jahrzehnte begleitet und immer wieder fasziniert, so dass ich ihn gerne auch in seinen anderen Filmrollen sah. Nun ist er von seiner schlimmen Krankheit erlöst. Aber er lebt für viele weiter:

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SOON
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Re: Gone but not forgotten

Beitrag von SOON »

Oh, Columbo habe ich auch immer angesehen. RIP
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MelloKey
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Re: Gone but not forgotten

Beitrag von MelloKey »

Heute vor 10 Jahren starb einer der beliebtesten und sympathischten Hollywood-Schauspieler, eine Ikone der Filmgeschichte, sowohl in Komödien als auch in ernsten Rollen, und zweifacher Oscar-Preisträger... Jack Lemmon.

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Er war und ist mein Lieblingsschauspieler, und das wird er immer sein. RIP Jack :(.

Fast ein bisschen makaber, dass fast auf den Tag genau 10 Jahre später Peter Falk verstorben ist, der mit Jack Lemmon in der herrlichen Blake Edwards-Komödie "Das große Rennen rund um die Welt" (1965) ein Dream-Team gebildet hat.
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