Rezension: "Mirror to the Sky" YES VÖ: 19. Mai 2023

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JJG
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Rezension: "Mirror to the Sky" YES VÖ: 19. Mai 2023

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YES – Mirror to the Sky VÖ: 19. Mai 2023

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Eben habe ich noch wertvolle Informationen zu Anschaffung eines Teleskops von einem Freund bekommen und nun widme ich mich dem neuen Album von YES, das 23. Passend zum laufenden Jahr. Welche Sternzeit haben wir eigentlich?

Ich halte inne, gehe zum Fenster schaue in den Nachthimmel, stelle das Cover der Doppel-LP auf und dimme das Licht, nur meine Mondlampe leuchtet. Bevor ich die Nadel absenke, zuerst auf der zweiten Seite, betrachte ich das Cover für ein paar Augenblicke ohne Musik. Es ist wohlvertraut, eine Konstante seit Jahrzenten, die Roger Dean beisteuert. Das YES-Logo ist wie das Raumschiff Enterprise, wandelt sich von Edition zu Edition farblich, behält die liebenswerten Umrisse. Es ist ein Unikum mit hohem Wiedererkennungswert.

Im Raumschiff YES fliegen nicht mehr „Kirk“, „Spock“ und Co, inzwischen ist eine neue Crew an Bord. Nein das ist nicht mehr das originale „Raumschiff Enterprise“ sondern eine neue Edition auf „DS9“ oder „ Voyager“ … Aber es ist immer noch „Star Trek“, der Geist von Starship Trooper fliegt weiter in die unendlichen Weiten des „YES-Music-Universums“.
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Wie der abgebildete Mensch, der eine lange Reise hinter sich hat, betrachte ich das Cover. Die Milchstraße spiegelt sich in einem glatten Meer und leitet mein Auge zum hellen Horizont. Vielleicht führt mich die Musik auch auf Triton, einem Mond eines unserer äußeren Gasplaneten. Von da aus betrachtet spiegelt sich unseres Galaxie auf der blauen Oberschicht von Neptun.

Die Nadel des Plattenspielers setzt nun sanft auf der zweiten Seite des Doppelalbums auf, ich habe das so gewollt. „Living out their Dreams“ führt mich musikalisch in die Pre-Yes-Ära zurück. Nicht verwunderlich, zeitgleich hat Steve Howe auch das Tomorrow-Album neu produziert und wieder veröffentlicht, dass er ebenfalls neu abgemischt hat. Es stammt aus dem Jahre 1967. So ist es auch auf „Mirror to the Sky“. Ein erfolgreicher Schritt, weg von allzu cleanen und glattproduzierten Sounds so mancher aktueller Wiederveröffentlichungen und neuer Outputs. Hier darf die Musik noch schwingen, die Tonstärke darf auch mal schwanken und man kann diese Vibrationen über den Kopfhörer aufnehmen.

Das Stück ist die einzige Howe/Downes Komposition des vorliegenden Albums. Hier zeigt sich auch ein anderer Weg, den Steve und Geoff bewusst einschlagen, Jon Davison singt in einer tieferen Tonlage, als man erwarten würde. Interessant wirkt das Stück, weil es nach guter alter YES-Mentalität nach neuen Farben sucht, dabei verbindet man aktuelle Sounds mit denen der guten alten Beat/Psychedellic-Rock Epoche.

Mit den Gitarren-Sounds (Verwendung u.a. der Les Paul Jnr) geht er im sogar noch weiter zurück und könnte sogar Elvis Presley supporten. Geoff wirft ein paar Retro-Gimmicks ein und Jay traktiert auch noch das Tamburin nach Anderson-Art, wenn auch im Mix weit nach hinten gemischt. Textlich ironisierend, schlagen beide eine Brücke von der Hippie Zeit bis zu einem Abgesang auf Absurditäten in unser heutigen Zeit, etwas verpackt in Hollywood-Film Dialoge, keineswegs langweilig.

Beispielbild: Hier "Les Paul Jnr 1958"
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Dann der Titeltrack. „Mirror to the Sky“. Das nach diesem Song betitelte ganze Album ist dem Langzeitmitglied Alan White gewidmet, der leider in 2022 verstorben ist. Jay Schellen ist nun vollwertiges Mitglied und bedient Drums und Percussion, er macht das gut aber weitgehend unauffällig. Die „Tradition“ des ständigen Lineup-Wechsels bei YES erfolgt hier also nicht freiwillig.

Textlich deuten Steve und Jon vieles an, lassen den Fans ganz bewusst große Freiräume zur Interpretation, was durch die Musik nochmals potenziert wird. Mit fast 14 Minuten legt man hier ein Art-Rock-Monster vor, mit etlichen Wandlungen zur Freude vieler Fans. Zu Beginn mit einfacher Retro-Gitarre mündet der Song dann in vielen Passagen in eine Gitarren-Werkschau von Howe, die live nur schwer um zu setzten ist. Dank Overdubs tritt der Meister, in mehreren virtuellen Inkarnationen, „gegen“ sich an. Angelehnt an die transparenten Produktionen im Stile eines Eddie Offords stehen die Steves auf dem inneren Stereo-Bild, virtuell hübsch nebeneinander und spielen sich die Melodien gegenseitig zu. Ganz großes Kino für den „alten“ Mann, wenn auch etwas egomanisch und protzend, aber in Höchstform. Auf welcher Platte gab es dazu zuletzt von ihm?

Jon Davison darf nicht nur ans Mikro, sondern bedient akustische Sechs-Saiter. Für einen Gitarren-Fetischisten wie mich sind alle deren Instrumente fein säuberlich im Booklet aufgezählt. Sogar die Spielzeiten vom „zweiten“ Gitarristen und der Orchestereinsatz sind da vermerkt. Die Telecaster auch als Steel kommt neben den Martin und Taylor Gitarren zu Einsatz. Das komplette Album wird ohnehin von den Gitarren dominiert und durch den Mix noch verstärkt. Die Lyrics des Songs sind recht kurz gehalten. Spannend sind die Flageoletts im Verbund mit Bassläufen und der orchestrale Einsatz der Streicher die für eine schöne Dramaturgie sorgen. Somit entsteht wieder ein neuer Farbtupfer in der Yes-Palette.
Westernfilmmusikalische Ansätze bis zu Sience-Fiction Filmmusik wird mit Art-Rock verbunden, das macht Spaß und ist unerwartet. So wie der Yes-Fan die Yes-Musik liebt, auf zu neuen Ufern. Jay und Billy toben sich aus und erinnern an Alan und Chris. Immer wieder wird die Musik der Band durch sphärische Klänge durchbrochen, zuweilen apokalyptisch Davisons Stimme, das Tempo verändernd. Die Musik atmet in den ruhigen Passagen auch mal auf und durch. So bleibt alles spannend bis zu letzten Sekunde… Die ganz großen Hooklines gibt es aber nicht.

Curtis Schwartz ist hier ein guter Mix gelungen, erinnert an den guten alten Eddie Offord, weitgehend transparent und austariert. Sehr schön hört man das immer an den Becken. Paul K. Joyce hat gute Arbeit mit dem FAME’S Studio Orchestra geleistet wertet die Songs nochmals auf.

Dann schließt diese LP-Seite das sanfte „Circles of Time“, aus der Feder von Jon Davison, ab. Die Band wird auf zwei Gitarristen, drei Sänger + Orchester reduziert. Der Song kommt also ohne Keys und die Rhythmusgruppe aus. Ein Stück, das man auch am Lagerfeuer spielen könnte. Wohltuend sanft, aber nicht belanglos, schön orchestriert. Die Melodieführung von Stimme und akustischer und Seel-Gitarre wechseln sich ab. Davisons Stimmen sind hier und da übereinandergelegt. Genau mein Geschmack. Jon bleibt auch in den Tonhöhen, die seiner natürlichen Stimme entsprichen. Ein schöner Ausklang der LP-Seite und des regulären Albums.



Nun wechsle ich auf die erste Seite des Albums und da ertönt auch schon das als erste Single ausgekoppelte (sagt man das heute noch?) Stück „Cut from the Stars“ aus der Feder der „jungen“ Wilden. Man mag ja die Aktivitäten unter dem Banner „Arc of Life“ kritisieren, jedenfalls haben sie es geschafft den schrulligen Bandchef anzustacheln und anzutreiben, in relativ kurzer Zeit, ein weiteres Album zu veröffentlichen. Hut ab! Steve gibt ihnen auch den nötigen Freiraum mit der wachenden Produzenten-Hand. Allzu oft musste er die überladenen Tracks aus Billys Massenproduktion entstauben. In diesem Song zeigt sich die Pandemie bedingte Arbeitsweise der aktuellen „Sternenschiffbesetzung“. Billy gab über die Medien bekannt, dass er die Grundidee für den Song lieferte, diese an den Sänger und später an den Gitarristen ging. Die drei Stücke der ersten LP-Seite sind in den jeweiligen eigenen Studios entsprungen und wurden dann weiter geschickt. Während die Youngster digital alles clean aufarbeiten, weiß Steve hier dem Stück eine analoge Seele zu verleihen. Also entstaubt er ein altes analoges Pedalboard und jagt da seinen Fender-Sound durch. Ein schöner Opener, der einen schönen Drive hat, mit knackigem Basslauf. Great Billy!
Geoffs Orgel spielt im Mix oft leider keine größere Rolle fällt da hinter die Gitarre oder den Gesang zurück. Vielleicht für Billy und Jon auch zu viel Vintage… Textlich bleibt man nah an der Covergestaltung, bzw. orientiert sich Roger Dean an mancher Textpassage der Songs. Aus dem Blickwinkel der Yes-Historie: „Drama“ lässt grüßen …

Es folgt die zweite Single „All Connected“, naja mit neun Minuten wohl eher der erste längere Stück. Etwas getragener als der Vorgänger. Ich liebe Steves Gitarren-Overdubs, hier wird das Stück in einigen Passagen aber von ihm überladen. Vier verschiedene E-Gitarren veredeln den Song hier nicht, im Gegenteil. In einigen Passagen seiner Soli verliert er sich zu sehr. Der Groove holpert etwas, man kämpft zu sehr gegeneinander an. Manche finden das cool … Das Stück hat Längen, auf ein gutes Maß gekürzt und die melodischen Partituren hervorgehoben, würden sie mehr brillieren. Für mich harmonieren hier nicht nur Gitarre und Keys in einigen Passagen nicht, sondern auch die Stimmen. Der Song ist eher ein Bonus-Song. Aber manche Fans lieben genau das.
Im Vorfeld lese ich natürlich zwangsläufig Rezensionen die im englischsprachigen Raum veröffentlicht wurden. Wenn ich das Album selbst habe, spare ich alle Rezensionen aus bis meine eigene Interpretation fertig ist.

Luminosity“ wurde von der Band auch als Titeltrack gehandelt, die Beurteilung des Songs durch die Rezensenten ging hier weit auseinander. Für mich ein weiterer unerwarteter Farbton für die Yes-Geschichte. Eine Gälische Melodie in einem Yes-Gewand!? Kennt man so noch nicht, wenn auch etwas langgezogen. Inzwischen gibt ess einen Single-Edit, den finde ich besser. Jon Anderson hat ähnliches auf seinem Album „The Promise Ring“ gemacht und Steve hat solche Einflüsse auf seinen „Homebrew(s)“ veröffentlicht. Der Text gefällt, bringt vieles auf den Punkt.

Dann der Bonus:

Auffällig, im Gegensatz zu „The Quest“ wurde das reguläre Album auf zwei Seiten der LP gepresst, die Bonus- Songs haben lediglich eine Seite eingenommen. Hier werden die Bonusstücke auf eine eigene LP gepresst, analog also der CD Editionen.

Unknown Place“ gehört für mich auf das reguläre Album, beginnt als „harmloser“ Folksong, steigert sich und die Spielfreude ist den Jungs anzumerken. Schöne Duelle zwischen Geoff und Steve, also ein Markenzeichen für das Yes seit den Anfangsjahren bekannt ist. Es rockt, man tobt sich aus, Humor wird eingeschoben. Der Titel ist Programm, ein guter 70er-Rocker. Ich musste lachen, Geoff hat in einem Interview gesagt, dass er Rick Wakeman ausgeholfen hat, als dessen Anlage gestohlen wurde. Ein Schelm wer Böses denkt, nur klingt Geoff hier stark nach seinem Vorgänger, genauer gesagt wie dessen Equipment. Ein Stück, welches unbedingt ins Liveprogramm der aktuellen Yes-Inkarnation gehört. Genau das Feeling, wenn man die lachenden Küchen-Fotos im Yes-HQ sieht. Ich denke Steve hat die Orgeln bei Ross Stanley geborgt, der Freund seines Sohnes Dylan, der auch im Steve Howe Trio glänzt. Steve zitiert sich hier mit einer kurzen Passage von „That, that is“ selbst und erinnert an die gemeinsame Geschichte mit Rick.

Alle Bonussongs sind nicht orchestriert, dafür mit der guten alten Hammond gewürzt. Geoff entführt in die Zeit der Tasten-Arrangements der Vor und Nachjahre um 1970. „One Second is Enough“ und „Magic Potion“ sind direkter, sparsamer intoniert. Vintage-Sound, durchgehender Beat mit kurzen Intermezzos. Jeweils im Gesang mit dem Duo Davison/Howe. Gute Warmups vor einem Konzert, Billy bringt mal ein kurzes Big-Band-Bass Solo ein, warum nicht. Psychedelic, Beat, Rock-Pop, Folk etwas weiter vom typischen Yes-Sound entfernt, mit Nostalgie-Faktor.



Angeblich ist man schon beim nächsten Album…

Die Überraschung ist gelungen, ein weiteres, positives Kapitel in die unendlichen Weiten der Yes-Musik. Positiv, die Experimentierfreude ist wieder da. Die Lösung vom lähmenden Schema-X-Prog-Song mit etwas Humor, Selbstironie schreitet voran.
Dr. Howe hat die Zügel in der Hand, als Produzent hat er gute Arbeit geleistet, seine Beiträge verhindern etwas mehr Balance. Dafür ist die Offord-Klarheit der Instrumente zurückgekehrt. Jon Davison hat gewisse gesangliche Schwächen überwunden, aber nach oben ist noch Luft.
60% amerikanischer Digitalmusik stehen 40% englischer Basisanalogie nicht im Weg. Gute alte Traditionen können vielleicht auch den ein oder anderen „Yes without Jon …“ Fan mitnehmen. Alle fünf Mitglieder scheinen Spaß am neuen Album zu haben …

Rezensiert habe ich die rote limitierte Doppel- Vinyl-Edition, die plan läuft, ganz ordentlich verarbeitet ist. Ein kurzes Knistern gab es zwischen zwei Songs. Die Version kommt mit gepolsterten Vinyl-Innentaschen in schwarz.
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"We are truth made in heaven, we are glorious" (Anderson/Stolt 2016)

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Peter
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Re: Rezension: "Mirror to the Sky" YES VÖ: 19. Mai 2023

Beitrag von Peter »

Ich danke Dir für Deine ausführliche und ausgewogene Rezi! Ich habe sie erst jetzt entdeckt, viele Gedanken und Eindrücke decken sich mit meinen, ich freue mich sehr darüber, dass Yes mit diesem Album eine positive Überraschung gelungen ist.
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